Frankenstein
Neugier und Begeisterung. In der Tür stehend, sah ich mit einem Mal einen Feuerstrom aus einer schönen alten Eiche fahren, die etwa zwanzig Meter von unserem Haus stand; und sobald das grelle Licht erlosch, war die Eiche verschwunden, nichts blieb außer einem verkohlten Stumpf. Als wir am nächsten Morgen hingingen, fanden wir den Baum auf eigenartige Weise geborsten. Der Einschlag hatte ihn nicht zersplittert, sondern vollständig in dünne Holzstreifen zerlegt. Noch nie hatte ich etwas so gänzlich Zerstörtes gesehen.
Schon vorher waren mir die augenfälligeren Gesetzmäßigkeiten der Elektrizität nicht unbekannt gewesen. Bei dieser Gelegenheit war ein Mann mit tiefen naturwissenschaftlichen Kenntnissen bei uns, und von diesem Naturereignis angeregt, begann er eine Theorie darzulegen, die er sich hinsichtlich der Elektrizität und des Galvanismus gebildet hatte und die für mich zugleich neu und erstaunlich war. Alles, was er sagte, stellte Cornelius Agrippa, Albertus Magnus und Paracelsus, die Herren meiner Phantasie, weit in den Schatten; doch verhängnisvollerweise nahm mir der Sturz dieser Männer die Lust, meine gewohnten Studien zu verfolgen. Mir schien, nie könne etwas wahrhaftig erkannt werden. Alles, was meine Aufmerksamkeit so lange gefesselt hatte, wurde unversehens verächtlich. Infolge einer jener Launen des Geistes, denen wir in der frühen Jugend vielleicht am meisten unterworfen sind, gab ich sofort meine früheren Beschäftigungen auf, tat die Naturgeschichte und alle ihre Abkömmlinge als mißgestaltete und verfehlte Gebilde ab und hegte die größte Verachtung für eine sogenannte Wissenschaft, die niemals auch nur die Schwelle des wahren Wissens überschreiten könne. In dieser Gemütsverfassung wandte ich mich der Mathematik und den ihr zugeordneten Studienzweigen zu, da sie sich auf sicheren Fundamenten aufbauten und daher meiner Beachtung würdig schienen.
So sonderbar ist unsere Seele beschaffen, und so dünne Bande verknüpfen uns mit Erfolg oder Ruin. Wenn ich zurückblicke, scheint mir, als wäre dieser beinahe wundersame Umschlag meiner Neigung und meines Willens die unmittelbare Anregung meines Schutzengels gewesen – die letzte Anstrengung, die er zur Rettung unternahm, um das Unwetter abzulenken, das schon damals in den Sternen hing, bereit, mich zu verschlingen. Von seinem Sieg kündete eine ungewöhnliche Ruhe und Seelenfreude, die sich nach dem Verzicht auf meine langjährigen und neuerdings quälenden Studien einstellte. Auf diese Weise sollte ich lernen, mit der Verfolgung dieser Studien Böses zu verbinden, mit ihrer Vernachlässigung das Glück.
Der Geist des Guten hatte alle Kräfte angespannt, doch umsonst. Das Schicksal war zu mächtig, und seine unveränderlichen Gesetze hatten meinen gänzlichen und furchtbaren Untergang verfügt.
Drittes Kapitel
Als ich siebzehn Jahre alt geworden war, beschlossen meine Eltern, ich solle an der Universität von Ingolstadt studieren. Bislang hatte ich in Genf die Schule besucht, doch mein Vater hielt es für notwendig, daß ich zur Abrundung meines Bildungsganges andere Bräuche als die meiner Heimat kennenlernte. Für meine Abreise wurde daher ein baldiger Termin bestimmt. Doch bevor der festgesetzte Tag kam, trat das erste Unglück meines Lebens ein – sozusagen ein Omen für mein späteres Elend.
Elisabeth hatte Scharlach bekommen. Die Krankheit verlief schwer, und sie schwebte in größter Gefahr. Während ihrer Krankheit hatten wir meine Mutter mit vielen dringenden Argumenten beschworen, sich zurückzuhalten und sie nicht selbst zu pflegen. Anfangs hatte sie unseren Bitten nachgegeben, doch als sie erfuhr, daß das Leben ihres Lieblings bedroht war, konnte sie ihre Sorge nicht länger beherrschen. Sie betreute sie auf ihrem Krankenbett – ihre wachsame Pflege besiegte die böse Krankheit – Elisabeth war gerettet, doch die Folgen dieser Unvorsichtigkeit waren für ihre Retterin verhängnisvoll. Am dritten Tag erkrankte meine Mutter. Höchst beunruhigende Symptome begleiteten ihr Fieber, und die Blicke ihrer ärztlichen Betreuer deuteten das Schlimmste an. Selbst noch auf dem Totenbett ließ ihre Seelenstärke und Güte diese beste aller Frauen nicht im Stich. Sie fügte mir und Elisabeth die Hände zusammen: »Meine Kinder«, sagte sie, »meine festen Hoffnungen auf künftiges Glück beruhen auf der Aussicht auf eure eheliche Verbindung. Diese Erwartung wird nun der Trost eures Vaters sein. Elisabeth, geliebtes Kind,
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