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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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niederzuschreiben, obwohl es sehr wahrscheinlich ist, daß Du mich siehst, bevor diese Papiere in Deine Hände gelangen können.
Am vorigen Montag (31. Juli) waren wir vom Eis fast umgeben, das sich von allen Seiten um das Schiff schloß und ihm kaum das freie Wasser ließ, in dem es dahintrieb. Unsere Lage war nicht ganz ungefährlich, besonders, weil uns ein sehr dichter Nebel einhüllte. Folglich drehten wir bei, in der Hoffnung auf einen Umschlag des Wetters und der Luftverhältnisse.
Gegen zwei Uhr verzog sich der Nebel, und wir sahen, daß sich in alle Richtungen riesige, unregelmäßig aufgeworfene Eismassen dehnten, die kein Ende zu haben schienen. Manche meiner Gefährten stöhnten auf, und in meinem eigenen Sinn begann auch ich mir Sorgen zu machen, als plötzlich ein seltsamer Anblick unsere Aufmerksamkeit auf sich zog und unsere Besorgnis von der eigenen Lage ablenkte. Wir gewahrten ein flaches Gefährt, auf Schlittenkufen befestigt und von Hunden gezogen, das eine halbe Meile entfernt, in nördlicher Richtung vorüberfuhr: ein Wesen von der Gestalt eines Menschen, aber anscheinend von riesenhafter Statur, saß darin und lenkte die Hunde. Wir beobachteten mit unseren Teleskopen die rasche Fahrt des Fremden, bis wir ihn zwischen den fernen Verwerfungen des Eises aus den Augen verloren.
Diese Erscheinung erregte unsere höchste Verwunderung. Wir befanden uns, wie wir glaubten, viele hundert Meilen von jedem festen Land entfernt, doch diese Erscheinung schien aufzuzeigen, daß es in Wirklichkeit nicht so entfernt lag, wie wir angenommen hatten. Vom Eis eingeschlossen, war es uns jedoch unmöglich, seiner Spur zu folgen, die wir mit größter Aufmerksamkeit beobachtet hatten.
Etwa zwei Stunden nach diesem Vorfall hörten wir die Grunddünung; vor Einbruch der Nacht barst das Eis und gab unser Schiff frei. Wir blieben jedoch bis zum Morgen beigedreht liegen, denn wir fürchteten, im Dunkeln an die gewaltigen losen Eismassen zu stoßen, die nach dem Aufbrechen des Eises umhertrieben. Ich nutzte diese Zeit, um ein paar Stunden zu ruhen.
Am Morgen, sobald es hell war, ging ich an Deck und fand alle Seeleute an einer Schiffsseite zusammengedrängt, wo sie offenbar mit jemandem unten auf dem Wasser sprachen. Es war ein Schlitten wie der, den wir vorher gesehen hatten, und er war in der Nacht auf einer großen Eisscholle auf uns zugetrieben. Nur ein Hund war noch am Leben; aber in dem Schlitten saß ein Mensch, dem die Seeleute zuredeten, auf das Schiff zu kommen. Es war nicht, wie es beim anderen Reisenden anscheinend der Fall war, der wilde Bewohner einer unentdeckten Insel, sondern ein Europäer. Als ich auf Deck erschien, sagte der Kapitän: »Hier kommt unser. Schiffsherr, und er wird nicht zulassen, daß Sie auf der offenen See zugrunde gehen.« Als der Fremde mich sah, sprach er mich auf Englisch an, wenn auch mit ausländischem Akzent. »Bevor ich an Bord Ihres Schiffes komme«, sagte er, »wollen Sie die Güte haben, mir mitzuteilen, wohin Sie fahren?«
Du kannst Dir meine Verblüffung vorstellen, als ich eine solche Frage vernahm, von einem Mann, der schon am Rande des Untergangs schwebte. Ich hätte gemeint, mein Schiff hätte ihm als eine Zuflucht erscheinen müssen, die er nicht für den kostbarsten Schatz auf Erden hätte eintauschen wollen. Ich antwortete jedoch, wir befänden uns auf einer Entdeckungsreise zum Nordpol.
Als er das hörte, schien er befriedigt und fand sich bereit, an Bord zu kommen. Gütiger Gott! Margaret, wenn Du den Mann gesehen hättest, der derart noch Bedingungen für seine Rettung stellte, Deine Überraschung wäre grenzenlos gewesen. Seine Gliedmaßen waren fast erfroren und sein Leib vor Erschöpfung und Entbehrungen ausgezehrt. Ich habe nie einen Menschen in so jämmerlicher Verfassung gesehen. Wir versuchten ihn in die Kajüte zu tragen; doch sobald er aus der frischen Luft kam, wurde er ohnmächtig. Wir trugen ihn also an Deck zurück und brachten ihn zu sich, indem wir ihn mit Branntwein abrieben und ihm auch einen Schluck einflößten. Sobald er Lebenszeichen gab, hüllten wir ihn in Decken und legten ihn neben den Schornstein des Kochherdes. Ganz allmählich erholte er sich und aß ein wenig Suppe, die ihn wunderbar kräftigte.
Zwei Tage verstrichen so, ehe er zu sprechen vermochte; und ich befürchtete oft, seine Leiden hätten ihn um den Verstand gebracht. Als er sich einigermaßen erholt hatte, ließ ich ihn in meine eigene Kajüte bringen und kümmerte mich um ihn,

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