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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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wissenschaftlichen Forschungsarbeit bietet sich ständig Nahrung für Entdeckungen und Erstaunen. Ein Geist von durchschnittlichen Fähigkeiten, der sich eng an ein Studium hält, muß dabei unweigerlich große Fortschritte erreichen; und ich, der ständig nur ein Ziel vor Augen hatte und ausschließlich darin aufging, kam so rasch voran, daß ich nach Ablauf von zwei Jahren mehrere Entdeckungen hinsichtlich der Verbesserung bestimmter chemischer Apparaturen machte, die mir an der Universität große Achtung und Bewunderung eintrugen. Als ich an diesem Punkt angelangt war und die Theorie und Praxis der Naturwissenschaften so beherrschte, wie es anhand der Vorlesungen der Professoren in Ingolstadt möglich war, mein Aufenthalt dort also nicht mehr zu meinen Fortschritten beitragen konnte, dachte ich schon daran, zu meinen Freunden in meiner Vaterstadt zurückzukehren, als sich etwas ereignete, das meinen Aufenthalt in die Länge zog.
    Eines der Phänomene, die meine Aufmerksamkeit besonders geweckt hatten, war die Struktur des menschlichen Körpers, ja, jeden lebendigen Tieres. Woher, so fragte ich mich oft, entsprang das Prinzip des Lebens? Es war eine kühne Frage, eine, die man stets als Rätsel betrachtet hat. Doch über wie viele Dinge könnten wir die Schwelle der Erkenntnis überschreiten, würden nicht Feigheit oder Gleichgültigkeit unsere Forschungen hemmen. Ich ließ mir all das durch den Kopf gehen und beschloß, mich von nun an besonders jenen Zweigen der Naturwissenschaften zu widmen, die mit der Physiologie zu tun haben. Hätte mich nicht eine fast übernatürliche Begeisterung beflügelt, wäre mir die Beschäftigung mit diesen Studien beschwerlich und beinahe unerträglich geworden. Um die Ursachen des Lebens zu untersuchen, müssen wir uns zunächst mit dem Tod befassen. Ich wurde mit der anatomischen Wissenschaft vertraut, doch das genügte nicht. Ich mußte auch den natürlichen Zersetzungsprozeß des menschlichen Körpers beobachten. Bei meiner Erziehung hatte mein Vater sorgfältig darauf geachtet, daß keine übernatürlichen Schrecken mein Gemüt beeindruckten. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, einmal bei einer Gespenstergeschichte gezittert oder mich vor der Erscheinung eines Geistes gefürchtet zu haben. Die Dunkelheit übte auf meine Phantasie keine Wirkung aus. Und ein Kirchhof war für mich lediglich der Ort, wo man des Lebens beraubte Körper unterbrachte, die, zuvor der Sitz von Schönheit und Kraft, zu Nahrung für die Würmer geworden waren. Jetzt trieb es mich, die Ursache und den Fortgang dieser Zersetzung zu untersuchen, und ich mußte Tage und Nächte in Grüften und Leichenkammern zubringen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf alle Objekte, die für das menschliche Zartgefühl am unerträglichsten waren. Ich sah, wie die schöne Menschengestalt dahinschwand und verging. Ich beobachtete, wie die Zersetzung des Todes der blühenden Wange des Lebens nachfolgte. Ich schaute zu, wie der Wurm die Wunder des Auges und des Gehirns in Besitz nahm. Immer wieder hielt ich grübelnd inne, wenn ich die kleinsten Einzelheiten des Ursachengefüges untersuchte und analysierte, das sich beispielhaft im Wechsel vom Leben zum Tode und vom Tod zum Leben darstellt, bis mir mitten in dieser Dunkelheit plötzlich ein Licht aufging – ein so strahlendes und wundersames Licht, und doch so einfach, daß ich, während mir angesichts der mir offenbarten ungeheuren Aussicht schwindelte, vor allem überrascht war, daß es unter so vielen genialen Männern, die ihre Forschungen derselben Wissenschaft gewidmet hatten, mir allein vorbehalten gewesen sein sollte, ein so erstaunliches Geheimnis zu entdecken.
    Vergessen Sie nicht, ich schildere nicht die Vision eines Wahnsinnigen. Die Sonne scheint nicht so gewiß vom Himmel, wie das, was ich jetzt behaupte, wahr ist. Mochte irgendein Wunder es hervorgerufen haben, dennoch waren die Etappen meiner Entdeckung deutlich zu unterscheiden und lagen im Rahmen der Wahrscheinlichkeit. Nach Tagen und Nächten unglaublicher Mühe und Anstrengung war es mir gelungen, die Ursache der Zeugung des Lebens zu entdecken. Nein, mehr noch, ich wurde selbst fähig, lebloser Materie Leben einzuflößen.
    Das Staunen, das mich bei dieser Entdeckung anfangs erfüllt hatte, wich bald der Freude und Begeisterung. Nach so viel mit beschwerlicher Arbeit verbrachter Zeit auf einmal den Gipfel meiner Wünsche zu erreichen, war das beglückendste Ende meiner Plackerei. Jedoch war

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