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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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mahnen mich fortzufahren.
    Mein Vater machte mir in seinen Briefen keinen Vorwurf und nahm von meinem Schweigen nur Notiz, indem er sich eingehender als bisher nach meinen Studien erkundigte. Winter, Frühling und Sommer verstrichen während meiner Arbeit. Ich aber bemerkte die Baumblüte nicht und wie sich das Laub entfaltete – ein Anblick, der mich früher immer tief entzückte – , so sehr war ich in meine Beschäftigung vertieft. Das Laub jenes Jahres war verwelkt, bevor mein Werk sich seinem Ende näherte, und jetzt zeigte mir jeder Tag deutlicher, wie gut es mir gelungen war. Aber besorgte Unruhe hielt meine Begeisterung zurück, und ich ähnelte eher einem Sklaven, gezwungen, sich in einer Grube oder mit anderer gesundheitsschädlichen Arbeit abzurackern, als einem Künstler, der sich seiner liebsten Beschäftigung hingibt. Jede Nacht überkam mich ein schleichendes Fieber, und ich wurde geradezu schmerzhaft nervös. Schon der Fall eines Blattes schreckte mich auf, und ich ging meinen Mitmenschen aus dem Weg, als hätte ich mich eines Verbrechens schuldig gemacht. Manchmal war ich bestürzt darüber, welches Wrack ich geworden war; allein die Energie meines Vorsatzes hielt mich aufrecht: meine Mühen würden bald zu Ende sein, und ich dachte, körperliche Bewegung und Unterhaltung würden dann die drohende Krankheit vertreiben. Und ich versprach mir beides, sobald mein Geschöpf vollendet sei.

Fünftes Kapitel
    Es war in einer trostlosen Novembernacht, als ich die Vollendung meiner Mühen vor Augen hatte. Mit einer Beklommenheit, die fast einer Todesangst glich, breitete ich das Lebensinstrumentarium um mich aus, um dem leblosen Ding, das zu meinen Füßen lag, einen Lebensfunken einzuflößen. Es war schon ein Uhr früh; der Regen prasselte trübselig gegen die Scheiben, und meine Kerze war beinahe heruntergebrannt, als ich beim Schimmer des halberloschenen Lichts sah, wie das Wesen das stumpfe gelbe Auge aufschlug. Es atmete schwer, und ein krampfartiges Zucken durchlief seine Glieder.
    Wie kann ich meine Gefühle angesichts dieser Katastrophe schildern oder wie das Scheusal, das ich mit so unendlicher Sorgfalt zu bilden bestrebt gewesen war? Seine Gliedmaßen waren wohlproportioniert, und ich hatte seine Züge schön gestaltet. Schön! – Großer Gott! Seine gelbliche Haut bedeckte knapp das Spiel der Muskeln und Adern darunter; sein Haar war von glänzendem Schwarz und wellig; seine Zähne von perlengleichem Weiß; doch diese Zierden bildeten einen nur um so gräßlicheren Kontrast zu seinen wässerigen Augen, die fast von der gleichen Farbe zu sein schienen wie die fahlgelben Höhlen, in denen sie saßen, zu seiner knitterigen Haut und den schmalen schwarzen Lippen.
    Die Wechselfälle des Lebens sind nicht so unbeständig wie die Gefühle der menschlichen Natur. Ich hatte fast zwei Jahre lang schwer gearbeitet, zu dem einzigen Zweck, einem unbelebten Körper Leben einzuflößen. Dafür hatte ich mich der Rast und der Gesundheit beraubt. Ich hatte es mit einer Glut begehrt, die ins Unmäßige ging; doch jetzt, da ich fertig war, verflog die Schönheit des Traums, und atemloser Schauder und Abscheu erfüllten mein Herz. Außerstande, den Anblick des Wesens zu ertragen, das ich geschaffen hatte, stürzte ich aus der Kammer und schritt lange in meinem Schlafzimmer auf und ab, unfähig, mich soweit zu fassen, um einschlafen zu können. Endlich folgte die Abspannung dem Aufruhr, den ich vorher durchgemacht hatte. Ich warf mich in meinen Kleidern aufs Bett und versuchte, einige wenige Augenblicke des Vergessens zu finden. Doch es war vergebens: zwar schlief ich ein, doch die tollsten Träume störten mich auf. Ich glaubte Elisabeth in blühender Gesundheit durch die Straßen Ingolstadts schreiten zu sehen. Entzückt und überrascht umarmte ich sie. Doch als ich ihr den ersten Kuß auf die Lippen drückte, erbleichten sie unter dem Hauch des Todes; ihre Züge schienen sich zu verändern, und ich glaubte die Leiche meiner toten Mutter in den Armen zu halten; ein Grabtuch umhüllte ihre Gestalt, und ich sah die Leichenwürmer in den Falten des Stoffes wimmeln. Voller Grauen fuhr ich aus dem Schlaf auf. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn, mir klapperten die Zähne, und alle Gliedmaßen krampften sich zusammen: da sah ich beim matten gelben Schein des Mondes, der sich durch die Fensterläden stahl, das Scheusal – das erbärmliche Ungeheuer, das ich geschaffen hatte. Es hatte den Bettvorhang angehoben; und

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