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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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diese Entdeckung so groß und überwältigend, daß alle Stufen vergessen waren, die mich schrittweise dahin geführt hatten, und ich nur das Ergebnis vor mir sah. Was seit der Erschaffung der Welt das Streben und Verlangen der klügsten Menschen gewesen war, lag jetzt in meiner Reichweite. Nicht etwa, daß wie in einer Zauberszene alles auf einmal offen vor mir ausgebreitet dargelegen hätte! Die Aufschlüsse, die ich gewonnen hatte, waren vielmehr von der Art, meinen Bemühungen eine Richtung zu geben, sobald ich sie wieder an den Gegenstand meiner Forschung wenden sollte, als dieses Ziel bereits in offenbarer Gestalt zu enthalten. Ich glich dem Araber, der mit den Toten begraben worden war und nur mit Hilfe eines matt schimmernden und scheinbar nutzlosen Lichtes einen Weg zum Leben fand.
    Ich ersehe aus Ihrem Eifer und dem Staunen und der Hoffnung in Ihren Augen, mein Freund, daß Sie mit dem Geheimnis vertraut gemacht zu werden erwarten, das mir bekannt ist. Das kann nicht sein. Hören Sie geduldig bis zum Ende meiner Geschichte zu, und Sie begreifen ohne weiteres, weshalb ich mich in diesem Punkt zurückhalte. Sie sind so wenig auf der Hut und so hitzig, wie ich es damals war, und ich will Sie nicht in Ihren Untergang und in Ihr unvermeidliches Unglück locken. Lernen Sie von mir, wenn schon nicht nach meinen Lehren, so doch wenigstens nach meinem Beispiel, wie gefährlich es ist, Wissen zu erwerben, und wieviel glücklicher der Mann ist, den seine Vaterstadt die ganze Welt dünkt, als jener, der danach strebt, größer zu werden, als seine Natur es gestattet.
    Als ich entdeckte, welche wunderbare Macht ich in den Händen hatte, schwankte ich lange Zeit, auf welche Weise ich sie anwenden sollte. Obwohl ich die Fähigkeit besaß, Leben einzuflößen, blieb die Aufgabe, für dessen Aufnahme eine Gestalt mit all ihren verwickelten Mustern von Fasern, Muskeln und Adern zu schaffen, noch immer unvorstellbar schwierig und mühevoll. Zunächst war ich mir nicht sicher, ob ich die Erschaffung eines Wesens wie ich selbst versuchen sollte oder eines von einfacherem Bau, doch meine Phantasie war von meinem ersten Erfolg zu sehr beschwingt, als daß sie mir einen Zweifel an meinen Fähigkeiten erlaubt hätte, ein so kompliziertes und wunderbares Tier wie den Menschen ins Leben zu rufen. Die Materialien, die ich derzeit zur Verfügung hatte, schienen einem so schwierigen Unterfangen kaum angemessen zu sein, doch ich zweifelte nicht daran, daß es mir letztlich gelingen werde. Ich machte mich auf zahlreiche Rückschläge gefaßt. Meine Operationen könnten ständig fehlschlagen und mein Werk zuletzt mangelhaft ausfallen, doch wenn ich die Fortschritte bedachte, die die Wissenschaft und die Technik täglich macht, fühlte ich mich zu der Hoffnung berechtigt, meine jetzigen Versuche würden wenigstens den Grundstein für den späteren Erfolg legen. Ebensowenig konnte ich die Größe und Kompliziertheit meines Plans als ein Argument dafür ansehen, daß er undurchführbar sei. Mit diesen Gefühlen machte ich mich an die Erschaffung eines menschlichen Wesens. Da die Winzigkeit der Teile eine große Behinderung für ein rasches Arbeiten bedeutete, beschloß ich entgegen meiner ursprünglichen Absicht, dem Wesen eine riesenhafte Statur zu geben, das heißt, etwa acht Fuß hoch und entsprechend breit. Nachdem ich diesen Entschluß gefaßt und mehrere Monate mit dem Zusammentragen und Ordnen meiner Materialien zugebracht hatte, fing ich an.
    Niemand kann sich die verschiedenartigen Gefühle vorstellen, die mich in der ersten Begeisterung des Erfolgs wie ein Wirbelsturm vorantrieben. Leben und Tod erschienen mir als ideelle Grenzen, die ich als erster durchbrechen sollte, um damit einen Strom von Licht über unsere dunkle Welt zu ergießen. Eine neue Spezies würde mich als ihren Schöpfer und Ursprung segnen; viele glückliche und vortreffliche Charaktere würden ihr Dasein mir verdanken. Kein Vater könnte die Dankbarkeit seines Kindes so umfassend beanspruchen, wie ich die ihre verdient hätte. Diese Überlegungen weiterführend, dachte ich, wenn ich lebloser Materie Leben einflößen könne, würde ich im Lauf der Zeit (obwohl es mir jetzt noch unmöglich war) womöglich selbst das Leben erneuern können, wo der Tod den Leib anscheinend der Verwesung überantwortet hatte.
    Diese Gedanken hielten meinen Mut aufrecht, während ich mit nicht nachlassender Begeisterung mein Vorhaben ausführte. Meine Wange war gebleicht vom Studium,

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