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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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vorbei. Gott steht mir in meiner Schwäche bei und verleiht mir den Mut, das Schlimmste zu ertragen. Ich verlasse eine traurige und bittere Welt; und wenn Sie mich im Herzen bewahren und meiner als einer zu Unrecht Verurteilten gedenken, ergebe ich mich in das Schicksal, das mich erwartet. Lernen Sie von mir, liebe Herrin, sich in Langmut dem Willen des Himmels zu unterwerfen.«
    Während dieses Gesprächs hatte ich mich in einen Winkel der Gefängniszelle zurückgezogen, wo ich die gräßliche Qual, die mich gepackt hielt, verbergen konnte. Verzweiflung! Wer wagte davon zu sprechen? Das arme Opfer, das am nächsten Tag die hehre Schwelle zwischen Leben und Tod überschreiten sollte, machte nicht solche tiefe und bittere Seelennot durch wie ich. Ich knirschte mit den Zähnen, biß sie zusammen und stöhnte aus tiefster Seele auf. Justine schrak zusammen. Als sie sah, wer es war, trat sie zu mir und sprach: »Lieber Herr, es ist sehr gütig von Ihnen, mich zu besuchen. Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich schuldig bin?«
    Ich konnte nicht antworten. »Nein, Justine«, sagte Elisabeth. »Er ist stärker von deiner Unschuld überzeugt, als ich es war, denn sogar als er hörte, du habest gestanden, hat er es nicht geglaubt.«
»Ich danke ihm von Herzen. In diesen letzten Stunden empfinde ich die aufrichtigste Dankbarkeit für alle, die gütig an mich denken. Wie gut die Zuneigung anderer einem solchen Wesen tut, wie ich es bin! Sie nimmt mehr als die Hälfte meines Mißgeschicks von mir; und mir ist, als könnte ich in Frieden sterben, nun, da Sie, liebe Herrin, und Ihr Vetter an meine Unschuld glauben.«
    So bemühte sich die arme Dulderin, andere und sich selbst zu trösten. Sie gewann wirklich die Ergebung, nach der sie verlangte. Aber ich, der wahre Mörder, spürte den unablässig nagenden Wurm in meiner Brust, der mir keine Hoffnung und keinen Trost gestattete. Auch Elisabeth weinte und war unglücklich; aber ihre Verzweiflung war die Verzweiflung der Unschuld, die wie eine über den hellen Mond ziehende Wolke seinen Schein eine Weile lang zu verbergen, aber nicht zu trüben vermag. Not und Qual waren mir ins tiefste Herz gedrungen. Ich trug eine Hölle in mir, die nichts austilgen konnte. Wir blieben mehrere Stunden bei Justine; und nur unter größten Schmerzen vermochte Elisabeth sich loszureißen. »Ich wünschte«, rief sie, »ich würde mit dir sterben; ich kann in dieser Welt des Jammers nicht leben.«
    Justine gab sich mit heiterer Gelassenheit, während sie nur mühsam die bitteren Tränen zurückhielt. Sie umarmte Elisabeth und sprach mit einer Stimme voll halb unterdrückter Bewegung: »Leben Sie wohl, liebe Herrin, liebste Elisabeth, meine geliebte und einzige Freundin; möge der Himmel in seiner Güte Sie segnen und beschützen; möge dies das letzte Unglück sein, das Sie je erleiden müssen! Leben Sie und seien Sie glücklich und machen Sie auch andere glücklich.«
Und am nächsten Morgen starb Justine. Elisabeths herzzerreißende Beredsamkeit vermochte die Richter nicht in ihrer festen Überzeugung hinsichtlich der verbrecherischen Schuld der frommen Dulderin zu erschüttern. Meine leidenschaftlichen und empörten Appelle waren an sie verschwendet. Und als ich ihre kühlen Antworten vernahm und die strengen gefühllosen Begründungen dieser Männer hörte, erstarb mir das Bekenntnis, das ich beabsichtigt hatte, auf den Lippen. Auf diese Weise hätte ich mich zum Wahnsinnigen erklären lassen, aber das über mein unglückliches Opfer verhängte Urteil nicht rückgängig machen können. Sie starb als Mörderin auf dem Schafott!
    Von den Folterqualen meines eigenen Herzens wandte ich meine Aufmerksamkeit dem tiefen, stummen Leid meiner Elisabeth zu. Auch das war mein Werk! Und der Schmerz meines Vaters, und die Trostlosigkeit jenes noch vor kurzem so heiteren Heims – alles war das Werk meiner dreimal verfluchten Hände! Ihr weint, Unglückliche, doch das sind nicht eure letzten Tränen! Erneut sollt ihr den Grabgesang anstimmen, und euer Wehklagen soll wieder und wieder in aller Ohren schallen! Frankenstein, euer Sohn, euer Verwandter, euer von klein auf vielgeliebter Freund; er, der jeden Tropfen seines Lebensblutes für euch hergeben würde – der weder Gedanken noch Sinn für die Freude hat, außer wenn sie sich auch in euren lieben Gesichtern spiegelt – der die Luft mit Segnungen sättigen und sein Leben in eurem Dienst verbringen möchte – er läßt euch weinen – unzählige

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