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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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konnte sie bedeuten? Hatten meine Augen mich getäuscht? Und war ich wirklich so verrückt, wie es die ganze Welt von mir annehmen würde, wenn ich das Ziel meines Verdachts enthüllte? Ich hastete nach Hause zurück, und Elisabeth fragte mich ungeduldig nach dem Ergebnis.
    »Liebe Kusine«, antwortete ich, »es ist entschieden, wie du es vielleicht schon erwartet hast. Alle Richter meinten, es sollen eher zehn Unschuldige leiden, als daß ein Schuldiger entkommt. Aber sie hat gestanden.«
    Das war ein schlimmer Schlag für die arme Elisabeth, die fest auf Justines Unschuld vertraut hatte. »Ach!« sagte sie, »wie kann ich jemals wieder an menschliche Rechtschaffenheit glauben? Justine, die ich wie eine Schwester liebte und schätzte, wie konnte sie dieses unschuldige Lächeln aufsetzen, um uns zu täuschen? Ihre sanften Augen erschienen unfähig zur Härte oder Arglist, und doch hat sie einen Mord begangen.«
    Bald darauf erfuhren wir, das arme Opfer habe den Wunsch geäußert, meine Kusine zu sprechen. Meinem Vater war es nicht recht, daß sie hinging. Doch er sagte, er überlasse es dem Urteil ihres eigenen Gefühls, darüber zu entscheiden. »Ja«, sagte Elisabeth, »ich gehe hin, obwohl sie schuldig ist, und du, Viktor, sollst mich begleiten: ich kann nicht allein gehen.« Der Gedanke an diesen Besuch war eine Folter für mich, doch ich konnte es ihr nicht abschlagen.
    Wir betraten die düstere Gefängniszelle und sahen Justine ganz hinten auf einem Haufen Stroh sitzen; ihre Hände waren gefesselt, und sie hatte den Köpf auf die Knie gelegt. Als sie uns hereinkommen sah, stand sie auf. Und nachdem wir mit ihr alleingeblieben waren, warf sie sich Elisabeth zu Füßen und weinte bitterlich. Auch meine Kusine weinte.
    »Ach, Justine!« sagte sie. »Warum hast du mir meinen letzten Trost genommen? Ich vertraute auf deine Unschuld. Und obwohl ich schon tiefunglücklich war, war ich nicht so unglücklich wie jetzt.«
    »Glauben Sie denn auch, daß ich so furchtbar schlecht bin? Halten Sie auch zu meinen Feinden, um mich zu vernichten, als Mörderin zu verurteilen?« Ihre Stimme war vom Schluchzen erstickt.
    »Steh auf, du armes Mädchen«, sagte Elisabeth, »warum kniest du, wenn du unschuldig bist? Ich gehöre nicht zu deinen Feinden. Ich hielt dich für unschuldig, jedem Beweis zum Trotz, bis ich erfuhr, daß du dich selbst für schuldig erklärt hast. Diese Darstellung ist falsch, sagst du, und glaube mir, liebe Justine, daß nichts mein Vertrauen in dich auch nur einen Augenblick erschüttern kann, außer deinem eigenen Geständnis.«
    »Ich habe gestanden, aber ich habe eine Lüge gestanden. Ich habe gestanden, um Absolution zu erhalten. Aber jetzt lastet mir diese Unwahrheit schwerer auf dem Herzen als alle meine übrigen Sünden. Gott im Himmel verzeihe mir! Seit ich verurteilt wurde, hat mein Beichtvater mich ständig bedrängt; er hat gemahnt und gedroht, bis ich fast zu glauben anfing, ich sei wirklich das Ungeheuer, als das er mich bezeichnete. Er drohte mit Kirchenbann und Höllenfeuer in meinen letzten Atemzügen, wenn ich weiter verstockt bliebe. Liebe Herrin, ich hatte keinen, der mir beistand. Alle sahen mich als eine zu Schmach und Verdammnis verurteilte Frevlerin an. Was konnte ich tun? In einer bösen Stunde ging ich auf eine Lüge ein, und erst jetzt bin ich in Wahrheit unglücklich.«
    Sie unterbrach sich weinend, dann fuhr sie fort: »Ich dachte mit Schrecken, meine liebste Herrin, daß Sie glauben könnten, Ihre Justine, die Ihre selige Tante so hoch in Ehren gehalten hat und die Sie lieb hatten, wäre ein Geschöpf, eines Verbrechens fähig, das niemand außer dem Teufel selbst begangen haben könnte. Lieber Wilhelm! Liebstes, seliges Kind! Bald sehe ich dich im Himmel wieder, wo wir alle glücklich sind; und das tröstet mich, wo ich so bald Schande und Tod erleiden muß.«
    »O Justine! Vergib mir, daß ich dir auch nur einen Augenblick mißtraut habe. Warum hast du nur gestanden? Aber gräme dich nicht, liebes Mädchen. Fürchte nichts. Ich will deine Unschuld verkünden, ja, beweisen. Ich will mit meinen Tränen und Bitten die zu Stein verhärteten Herzen deiner Feinde erweichen. Du sollst nicht sterben! – Du, meine Spielgefährtin, meine Freundin, meine Schwester, auf dem Schafott sterben! Nein! Nein! Ein so schreckliches Unglück könnte ich nicht überleben.«
    Justine schüttelte kummervoll den Kopf. »Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben«, sagte sie. »Dieser Schmerz ist

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