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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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doch ich sehe keinen Raum für Hoffnung. Ich bitte um Erlaubnis, ein paar Zeugen zu meinem Ruf befragen zu lassen; und wenn ihr Zeugnis nicht schwerer wiegt als meine scheinbare Schuld, muß ich verurteilt werden, obwohl ich mein Seelenheil zum Pfand für meine Unschuld hingeben würde.«
    Man rief mehrere Zeugen auf, die sie seit vielen Jahren kannten, und sie sprachen gut von ihr. Doch Angst und Abscheu vor dem Verbrechen, dessen sie sie für schuldig hielten, stimmten sie zaghaft und hemmten ihre Bereitschaft, sich zu äußern. Elisabeth erkannte, daß der Angeklagten sogar diese letzte Zuflucht, ihr ausgezeichneter Ruf und ihre untadelige Führung, nichts mehr helfen würden, worauf sie, wenn auch zutiefst aufgewühlt, um Erlaubnis bat, sich an das Gericht zu wenden.
    »Ich bin«, sagte sie, »die Kusine des unglücklichen Kindes, das ermordet wurde, oder eher seine Schwester, denn ich bin von seinen Eltern großgezogen worden und habe von seiner Geburt an und schon lange vorher bei ihnen gelebt. Man mag es deshalb für taktlos halten, daß ich mich bei diesem Anlaß zu Wort melde. Doch wenn ich sehe, daß ein Mitmensch drauf und dran ist, durch die Feigheit ihrer angeblichen Freunde umzukommen, möchte ich sprechen dürfen, um auszusagen, was ich von ihrem Charakter weiß. Ich kenne die Angeklagte gut. Ich habe im selben Haus mit ihr gewohnt, einmal fünf und dann noch einmal fast zwei Jahre lang. In dieser ganzen Zeit erschien sie mir als der liebenswürdigste und gutmütigste aller Menschen. Sie pflegte Madame Frankenstein, meine Tante, in ihrer letzten Krankheit mit größter Liebe und Sorgfalt; und danach kümmerte sie sich während eines langwierigen Leidens um ihre eigene Mutter auf eine Weise, daß es allen, die sie kannten, Bewunderung abnötigte; danach wohnte sie wieder im Hause meines Onkels, wo die ganze Familie sie liebhatte. Sie hing herzlich an dem Kind, das jetzt tot ist, und behandelte es wie eine liebende Mutter. Ich jedenfalls zögere nicht, zu erklären, daß ich ungeachtet aller gegen sie vorgebrachten Beweise fest an ihre gänzliche Unschuld glaube. Sie hatte kein Motiv für solch eine Tat. Was den Fund angeht, der als Hauptbeweisstück gilt, hätte ich ihn ihr bereitwillig geschenkt, wenn sie das ernstlich gewünscht hätte. So sehr schätze und achte ich sie.«
    Beifälliges Gemurmel folgte auf Elisabeths schlichten und eindringlichen Appell. Doch wurde es durch ihre großherzige Fürsprache ausgelöst und nicht zugunsten der armen Justine, gegen die sich die allgemeine Empörung mit erneuter Heftigkeit wandte, indem man ihr den schwärzesten Undank vorwarf. Sie selbst weinte, als Elisabeth sprach, doch sie antwortete nicht. Während des ganzen Verfahrens litt ich unter maßloser Erregung und Qual, ich glaubte an ihre Unschuld. Ich wußte, daß sie unschuldig war. Konnte der Dämon, der meinen Bruder ermordet hatte (daran zweifelte ich keinen Augenblick), in seinem höllischen Hohn auch noch die Unschuldige dem Tod und der Schande ausgeliefert haben? Ich konnte meine grauenvolle Situation nicht mehr ertragen; und als ich bemerkte, daß die Stimme des Volkes und die Mienen der Richter mein unglückliches Opfer bereits verurteilt hatten, stürzte ich wie unter Todesqualen aus dem Gerichtssaal. Die Martern der Angeklagten konnten sich mit den meinen nicht messen. Sie hielt die eigene Unschuld aufrecht, doch mir zerrissen die Qualen der Reue die Brust und wollten nicht von mir ablassen.
Ich verbrachte die Nacht in durch nichts gemilderter Seelennot. Am Morgen ging ich zum Gericht. Lippen und Kehle waren mir ausgedörrt. Ich wagte nicht die verhängnisvolle Frage zu stellen; doch man kannte mich, und der Beamte erriet den Grund meines Besuches. Die Kugeln waren gefallen. Sie waren alle schwarz, und Justine war verurteilt.
    Ich kann nicht annähernd schildern, was ich durchlebte. Schon vorher hatte ich Grauen empfunden, und ich habe dem angemessenen Ausdruck zu verleihen versucht, aber Worte können keinen Begriff von der herzzerreißenden Verzweiflung vermitteln, die ich jetzt durchmachte. Der Mann, an den ich mich gewandt hatte, fügte hinzu, Justine habe ihre Schuld bereits gestanden. »Diese Aussage«, bemerkte er, »war in einem so offenkundigen Fall kaum noch nötig, aber ich bin doch froh darüber. Und wirklich verurteilt keiner unserer Richter einen Verbrecher gern auf Indizienbeweise hin, seien sie noch so überzeugend.«
    Das war eine eigentümliche und unerwartete Auskunft. Was

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