Frankenstein
getrieben, hielt ich den Jungen fest, als er an mir vorbeikam, und zog ihn zu mir heran. Sobald er meine Gestalt sah, hielt er sich die Augen mit den Händen zu und stieß einen schrillen Schrei aus. Ich zog ihm die Hand mit Gewalt vom Gesicht und sagte: ›Kind, was soll denn das? Ich will dir doch nichts tun. Hör mich an.‹
Er wehrte sich verzweifelt. ›Laß mich los!‹ schrie er, ›Ungeheuer! Häßliches Scheusal! Du willst mich in Stücke reißen und fressen – du bist ein Menschenfresser – laß mich los, oder ich sag’s meinem Papa.‹
›Junge, du wirst deinen Vater nie wiedersehen. Du mußt mit mir kommen.‹
›Scheußliches Ungeheuer! Laß mich los. Mein Papa ist Ratsherr – er ist Herr Frankenstein – er wird dich bestrafen. Wage ja nicht, mich hierzubehalten.‹
›Frankenstein! Also gehörst du zu meinem Feind – zu ihm, dem ich ewige Rache geschworen habe. Du sollst mein erstes Opfer sein.‹
Das Kind sträubte sich immer noch und überhäufte mich mit Schmähreden, die mein Herz mit Verzweiflung erfüllten. Ich packte ihn bei der Kehle, um ihn zum Schweigen zu bringen, und im nächsten Augenblick lag er tot zu meinen Füßen.
Ich starrte auf mein Opfer, und mir schwoll vor Frohlocken und höllischem Triumph das Herz. In die Hände klatschend rief ich: ›Auch ich kann Elend hervorbringen. Mein Feind ist nicht unverwundbar. Dieser Tod wird ihn in Verzweiflung stürzen, und in noch tausendfach anderer Gestalt soll ihn der Seelenschmerz foltern und vernichten.‹
Als ich meine Augen auf das Kind richtete, sah ich etwas auf seiner Brust blinken. Ich ergriff es. Es war das Porträt einer wunderschönen Frau. Meiner Bosheit zum Trotz besänftigte und fesselte es mich. Eine kurze Weile lang betrachtete ich entzückt ihre dunklen, von langen Wimpern gesäumten Augen und ihre reizenden Lippen. Doch bald regte sich meine Wut wieder: mir fiel ein, daß mir die Freuden, die solche schönen Wesen zu spenden vermochten, für immer versagt waren. Und daß sich bei ihr, deren Bildnis ich bewunderte, der Ausdruck himmlischer Güte bei meinem Anblick in Abscheu und Entsetzen verwandelt hätte.
Kannst du dich wundern, daß solche Gedanken mich vor Wut toll machten? Mich wundert nur, daß ich mich in diesem Augenblick nicht, statt meinen Gefühlen in qualvollem Stöhnen freien Lauf zu lassen, unter die Menschheit stürzte und bei dem Versuch, sie zu vernichten, zugrunde ging.
Von diesen Empfindungen übermannt, verließ ich die Stätte, wo ich den Mord begangen hatte, und auf der Suche nach einem abgelegeneren Versteck betrat ich eine Scheune, die ich für leer gehalten hatte. Auf dem Stroh schlief eine Frau. Sie war jung, freilich nicht so schön wie sie, deren Bildnis ich in der Hand hielt, doch von angenehmem Aussehen und blühend in der Anmut der Jugend und Gesundheit. Hier, dachte ich, ist eine von denen, die ihr beglückendes Lächeln allen schenken, nur nicht mir. Und dann beugte ich mich über sie und flüsterte: ›Wach auf, Schönste, dein Geliebter ist nahe – er, der sein Leben hingeben würde, um einen einzigen Blick der Zuneigung von deinen Augen zu empfangen: meine Holde, wach auf!‹
Die Schlafende regte sich. Ein Schreckensschauer durchlief mich. Wenn sie wirklich erwachte und mich sähe und mich verfluchte und als Mörder anklagte? Das würde sie mit Sicherheit tun, wenn ihre vom Schlaf verschatteten Augen sich öffneten und sie mich erblickte. Der Gedanke weckte den Wahnsinn. Er stachelte den Teufel in mir auf – nicht ich, sondern sie soll leiden: der Mord, den ich begangen habe, weil ich alles, was sie mir geben könnte, für immer entbehren muß, sie soll ihn büßen. Das Verbrechen hatte seinen Ursprung in ihr: ihr sei die Strafe! Dank Felix’ Unterricht und der blutrünstigen Gesetze der Menschen hatte ich gelernt, Unheil anzurichten. Ich beugte mich über sie und schob das Bildnis tief in eine Falte ihres Kleides. Sie regte sich wieder, und ich floh.
Mehrere Tage lang strich ich um die Stelle, wo diese Szenen sich abgespielt hatten. Manchmal mit dem Wunsch, dich zu treffen, manchmal entschlossen, die Welt und ihr Elend für immer zu verlassen. Schließlich verzog ich mich in diese Berge und bin durch ihre ungeheure Abgeschiedenheit gestreift, verzehrt von einer brennenden Leidenschaft, die du allein befriedigen kannst. Wir trennen uns nicht, ehe du versprochen hast, meine Forderung zu erfüllen. Ich bin allein und unglücklich; der Mensch will keinen Umgang mit mir: doch
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