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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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nachdem ich jede Spur der Bepflanzung im Garten verwüstet hatte, wartete ich mit erzwungener Ungeduld ab, bis der Mond untergegangen war, um mit meinem Vorhaben zu beginnen.
    Im Laufe der Nacht erhob sich aus der Richtung der Wälder ein starker Wind und fegte rasch die Wolken fort, die noch am Himmel verharrt hatten: der Sturm kam dahergebraust wie eine mächtige Lawine und weckte in meinem Gemüt eine Art Tollheit, die alle Schranken der Vernunft und Besonnenheit sprengte. Ich entzündete einen dürren Ast und umtanzte rasend die dem Untergang geweihte Kate, die Augen immer an den westlichen Horizont geheftet, den der Mond nahezu berührte. Endlich war ein Teil seiner Scheibe verborgen, und ich schwang meine Fackel. Er versank, und mit einem schrillen Schrei steckte ich das Stroh und Heidekraut und Buschwerk in Brand, das ich gesammelt hatte. Der Wind fachte das Feuer an, und schnell war die Kate von den Flammen eingeschlossen, die sich an sie hefteten und mit ihren gespaltenen, zerstörerischen Zungen daran leckten.
    Sobald ich gewiß war, daß durch keinerlei Hilfsaktion auch nur ein Teil der Behausung zu retten war, verließ ich den Schauplatz und suchte in den Wäldern Zuflucht.
    Doch wohin sollte ich meine Schritte lenken, jetzt, da die Welt vor mir lag? Ich entschloß mich, weit weg vom Ort meiner Mißgeschicke zu fliehen; aber gehaßt und verabscheut, wie ich war, mußte sich jedes Land gleich fürchterlich für mich erweisen. Schließlich kam mir der Gedanke an dich. Ich hatte aus deinen Papieren erfahren, daß du mein Vater, mein Schöpfer warst. Und an wen konnte ich mich folgerichtiger wenden als an ihn, der mir das Leben gegeben hatte? Bei dem Unterricht, den Felix Safie erteilt hatte, hatte er die Erdkunde nicht ausgelassen; daraus hatte ich die relative Lage der verschiedenen Länder der Erde erfahren. Du hattest Genf als deine Heimatstadt erwähnt, und dorthin beschloß ich mich zu begeben.
    Doch wie sollte ich hinfinden? Ich wußte, daß ich die südwestliche Richtung einschlagen mußte, um mein Ziel zu erreichen, jedoch war die Sonne mein einziger Führer. Ich kannte die Namen der Städte nicht, die ich passieren mußte, konnte auch keinen einzigen Menschen um Auskunft bitten, aber ich verzweifelte nicht. Nur von dir konnte ich auf Beistand hoffen, wenngleich ich dir gegenüber ausschließlich Haß empfand. Gefühlloser, herzloser Schöpfer! Du hattest mich mit Auffassungsvermögen und Leidenschaften ausgestattet und mich dann verstoßen, einen Gegenstand der Verachtung und des Grauens der Menschen. Aber nur dir gegenüber besaß ich überhaupt einen Anspruch auf Mitgefühl und Wiedergutmachung, und dir beschloß ich jene Gerechtigkeit abzufordern, die ich bei anderen Wesen in menschlicher Gestalt vergeblich zu erlangen versucht hatte.
    Meine Reise war lang, und ich machte schwere Leiden durch. Es war Spätherbst, als ich die Gegend verließ, wo ich so lange gewohnt hatte. Ich reiste nur bei Nacht, denn ich hatte Angst, dem Gesicht eines Menschen zu begegnen. Die Natur welkte um mich herum, und die Sonne gab keine Wärme mehr. Der Regen und der Schnee schütteten auf mich herab. Mächtige Flüsse waren gefroren: der Erdboden war hart und eisig und kahl, und ich fand kein Obdach. O Erde! Wie oft stieß ich Verwünschungen gegen die Ursache“ meines Daseins aus! Die Sanftmut meines Charakters war dahin, und alles in mir war in Galle und Bitternis umgeschlagen. Je näher ich deinem Wohnort kam, desto heißer spürte ich den Drang nach Rache in meinem Herzen glühen. Der Schnee fiel, und die Gewässer erstarrten, doch ich gönnte mir keine Rast. Hin und wieder wies mir ein Zufall die Richtung, und ich besaß eine Karte des Landes, aber oft irrte ich weit von meinem Weg ab. Die Qual meiner Gefühle ließ mir keine Ruhe. Nichts geschah, woraus meine Wut und meine Not nicht Nahrung bezogen hätten, doch als ich die Grenze der Schweiz erreichte, als die Sonne ihre Wärme wiedergewonnen hätte und die Erde wieder grün auszusehen begann, trat ein Umstand ein, der die Bitterkeit und das Grauenvolle meiner Gefühle ganz besonders bestärkte.
    Im allgemeinen machte ich tagsüber Rast und zog erst weiter, wenn die Nacht mich dem Blick den Menschen entzog. Eines Morgens jedoch, als ich bemerkte, daß mein Weg durch einen dichten Wald führte, wagte ich meine Wanderung nach Sonnenaufgang fortzusetzen; der Tag, einer der ersten Frühlingstage, heiterte sogar mich mit seinem lieblichen Sonnenschein und der linden

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