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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Tag nicht mehr möglich war, in mein Versteck zurückzukehren. Also verbarg ich mich in dichtem Unterholz und beschloß, die nächsten Stunden dem Nachdenken über meine Lage zu widmen.
    Der freundliche Sonnenschein und die reine Luft des Tages brachten mir ein gewisses Maß an Fassung zurück. Und als ich bedachte, was sich in der Kate abgespielt hatte, kam ich notwendig zu der Überzeugung, zu voreilige Schlüsse gezogen zu haben. Zweifellos war ich unbesonnen vorgegangen. Es war offenbar, daß meine Äußerungen den Vater für mich eingenommen hatten, und ich war dumm gewesen, meine Gestalt zu ihrem Entsetzen seinen Kindern offenbart zu haben. Ich hätte den alten De Lacey an mich gewöhnen und mich ganz allmählich der übrigen Familie zeigen sollen, wenn sie erst auf mein Erscheinen vorbereitet gewesen wären. Doch hielt ich meinen Fehler nicht für unwiderruflich. Und nach langem Überlegen nahm ich mir vor, zur Kate zurückzukehren, den alten Mann aufzusuchen und ihn durch meine Vorstellungen auf meine Seite zu ziehen.
    Diese Gedanken besänftigten mich, und am Nachmittag sank ich in tiefen Schlaf. Doch das Fieber in meinem Blut ließ es nicht zu, daß mich friedliche Träume besuchten. Die schreckliche Szene des Vortages lief unaufhörlich vor meinen Augen ab; die Frauen flüchteten, und der wutentbrannte Felix riß mich von den Füßen seines Vaters fort. Ich erwachte erschöpft, und als ich bemerkte, daß es schon dunkel war, kroch ich aus meinem Versteck und suchte mir Nahrung.
    Als mein Hunger gestillt war, lenkte ich meine Schritte auf den wohlbekannten Weg, der zur Kate führte. Dort war alles ruhig. Ich kroch in meinen Stall und verharrte dort in stiller Erwartung der gewohnten Stunde, da die Familie aufstand. Diese Stunde verging, die Sonne stieg hoch in den Himmel, doch die Häusler erschienen nicht. Ich zitterte am ganzen Leibe, denn ich befürchtete ein schlimmes Unglück. In der Kate war es dunkel, und ich hörte keine Bewegung. Ich kann die Qual dieser bangen Ungewißheit nicht schildern.
    Dann kamen zwei Landleute vorbei. Doch an der Kate blieben sie stehen und begannen ein Gespräch, das sie mit heftigen Gebärden begleiteten. Ich verstand aber nicht, was sie sagten, weil sie die Landessprache gebrauchten, die nicht die gleiche war wie die meiner Beschützer. Bald darauf kam jedoch Felix zusammen mit einem anderen Mann: ich war überrascht, denn ich wußte, daß er an diesem Morgen die Kate nicht verlassen hatte, und wartete gespannt, um aus seinen Äußerungen die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Geschehnisse zu erfahren.
    ›Bedenken Sie‹, sagte sein Begleiter, ›daß Sie drei Monate die Miete bezahlen müssen und den Ertrag ihres Gartens einbüßen. Ich möchte mir keinen unlauteren Vorteil zunutze machen, deshalb bitte ich Sie, sich ein paar Tage Zeit zu lassen, um Ihren Entschluß zu überdenken.‹
    ›Das ist völlig zwecklos‹, antwortete Felix; ›wir können nie wieder in Ihrer Kate wohnen. Infolge des schrecklichen Vorfalls, den ich Ihnen geschildert habe, schwebt das Leben meines Vaters in höchster Gefahr. Meine Frau und meine Schwester werden sich nie wieder von ihrem Grauen erholen. Ich bitte Sie sehr, mir nicht mehr zuzureden. Nehmen Sie Ihr Haus zurück und lassen Sie mich diesen Ort eiligst verlassen.‹
    Bei diesen Worten bebte Felix heftig. Er und sein Begleiter traten in die Kate, in der sie einige Minuten verweilten, und gingen dann fort. Ich habe nie wieder jemanden von der Familie De Lacey gesehen.
    Den Rest des Tages blieb ich wie betäubt in einem Zustand äußerster Verzweiflung in meinem Stall. Meine Beschützer waren fortgezogen und hatten die einzige Kette zerrissen, die mich mit der Welt verbunden hatte. Zum ersten Mal erfüllten die Gefühle der Rache und des Hasses meinen Busen, und ich machte keinen Versuch, sie zu beherrschen. Vielmehr ließ ich mich von dem Strom fortreißen und richtete meine Gedanken auf Unbill und Tod. Wenn ich an meine Freunde dachte, an De Laceys milde Stimme, Agathes sanfte Augen und die erlesene Schönheit der Araberin, schwanden diese Gedanken, und ein Tränenstrom besänftigte mich ein wenig. Doch wenn ich dann wieder überlegte, daß sie mich zurückgestoßen und verlassen hatten, stellte sich der Zorn wieder ein, wütender Zorn. Und ohne die Möglichkeit, ein menschliches Wesen zu verletzen, wandte ich meinen Ingrimm auf leblose Gegenstände. Im Laufe der Nacht häufte ich verschiedene brennbare Dinge um die Kate herum auf. Und

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