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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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hin, Europa und auch jeden anderen Ort in der Nähe der Menschen für immer zu verlassen, sobald ich dir ein Weib übergebe, das dich in dein Exil begleitet.«
    »Ich schwöre«, rief er, »bei der Sonne und beim blauen
    Himmelszelt und beim Feuer der Liebe, das in meinem Herzen brennt: solange sie bestehen, wirst du mich nie wiedersehen, wenn du meine Bitte erfüllst. Geh nach Hause und beginne deine Arbeit: ich werde ihren Fortgang mit unaussprechlicher Ungeduld beobachten. Und verlaß dich darauf, wenn du fertig bist, bin ich da.«
    Nach diesen Worten verließ er mich unversehens, vielleicht aus Furcht vor einem Umschwung meiner Gefühle. Ich sah ihn schneller als der Flug des Adlers den Berg hinabsteigen und sich rasch in den Wogen des Meeres aus Eis verlieren.
    Seine Erzählung hatte den ganzen Tag ausgefüllt. Die Sonne stand am Rande des Horizonts, als er ging. Ich wußte, daß ich meinen Abstieg ins Tal beschleunigen mußte, denn bald würde mich Dunkelheit umgeben. Doch das Herz war mir schwer, und ich ging mit schleppenden Schritten. Verwirrt wie ich war, hatte ich alle Mühe, mich auf den schmalen Gebirgspfaden entlangzuwinden und festen Halt für die Füße zu finden, denn mich beschäftigten noch immer die Gemütsbewegungen, in die mich die Ereignisse des Tages gestürzt hatten. Es war tiefe Nacht, als ich auf halbem Wege den Rastplatz erreichte und mich an die Quelle setzte. Hin und wieder leuchteten die Sterne, wenn die Wolken sich verzogen. Vor mir ragten die dunklen Fichten auf, und hier und da lag auf der Erde ein umgestürzter Baum: es war ein wunderbar feierliches Bild, und es rührte sonderbare Gedanken in mir auf. Ich weinte bitterlich, und unter Qualen die Hände ringend, rief ich aus: »O Sterne und Wolken und Winde, ihr alle wollt mich verhöhnen: wenn ihr wirklich Mitleid mit mir habt, zermalmt mir Gefühl und Erinnerung, laßt mich zu einem Nichts werden. Wenn aber nicht, hinweg mit euch, und läßt mich im Dunkeln zurück.«
    Das waren wilde und schmerzliche Gedanken. Doch ich kann Ihnen nicht schildern, wie das ewige Blinken der Sterne auf mir lastete und wie ich auf jeden Windstoß lauschte, als wäre er ein trüber, gefährlicher Schirokko, im Begriff, mich zu verzehren.
    Der Morgen dämmerte, bevor ich das Dorf Chamonix erreichte. Ich machte keine Rast, sondern kehrte sofort nach Genf zurück. Sogar in meinem eigenen Herzen konnte ich meinen Empfindungen keinen Ausdruck geben – sie lasteten auf mir mit dem Gewicht eines Berges, und ihr Übermaß erstickte meine Qual unter sich. So kehrte ich heim, trat ins Haus und zeigte mich der Familie. Mein abgezehrtes und wunderliches Aussehen weckte tiefe Besorgnis, doch ich beantwortete keine Frage, sprach kaum ein Wort. Mir war, als läge ein Bann auf mir – als hätte ich kein Recht, ihre Anteilnahme zu beanspruchen – als könnte ich mich nie wieder am Umgang mit ihnen erfreuen. Doch sogar in dieser Lage liebte ich sie abgöttisch. Und um sie zu retten, beschloß ich, mich meiner zutiefst verabscheuten Aufgabe zu widmen. Die Aussicht auf eine solche Beschäftigung ließ jede andere Erscheinung des Daseins wie einen Traum an mir vorübergleiten, einzig dieser Gedanke besaß für mich die Realität des Lebens.

Achtzehntes Kapitel
    Tag um Tag, Woche um Woche verstrichen nach meiner Rückkehr nach Genf. Ich konnte den Mut nicht zusammenraffen, meine Arbeit wiederaufzunehmen. Ich fürchtete die Rache des enttäuschten Unholds, doch war ich außerstande, meinen Widerwillen gegen die mir anbefohlene Aufgabe zu überwinden. Ich stellte fest, daß ich ein weibliches Wesen nur zusammenfügen konnte, wenn ich erneut mehrere Monate einem gründlichen Studium und mühseligen Forschungen widmete. Ich hatte erfahren, daß ein englischer Wissenschaftler gewisse Entdeckungen gemacht habe, deren Kenntnis für meinen Erfolg von wesentlicher Bedeutung war, und dachte manchmal daran, die Zustimmung meines Vaters einzuholen, um zu diesem Zweck England zu besuchen. Doch ich klammerte mich an jeden Vorwand für einen Aufschub und schrak vor dem ersten Schritt zu einem Vorhaben zurück, dessen dringliche Notwendigkeit mir inzwischen weniger zwingend vorkam. In der Tat war mit mir eine Veränderung eingetreten: meine Gesundheit, mit der es bisher nicht zum besten gestanden hatte, war jetzt fast wiederhergestellt, und meine Stimmung stieg entsprechend, wenn die Erinnerung an mein unheilvolles Versprechen sie nicht dämpfte. Mein Vater nahm diese Veränderung mit

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