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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Umkreis meines Wohnorts aufhält. Und wenn er wirklich in den Alpen einen Unterschlupf gesucht hat, kann man ihn jagen wie die Gemse und als Raubtier austilgen. Aber ich lese Ihre Gedanken: Sie glauben meiner Erzählung nicht und haben nicht die Absicht, meinen Feind zu verfolgen und zu bestrafen, wie es ihm zukommt.«
    Bei diesen Worten sprühte mir die Wut aus den Augen. Der Richter gab eingeschüchtert zurück: »Sie irren sich, ich will mich durchaus bemühen, und wenn es in meiner Macht liegt, das Ungeheuer zu ergreifen, dürfen Sie versichert sein, daß er eine seinen Verbrechen angemessene Strafe erleiden wird. Doch ich fürchte, so, wie Sie selbst seine Eigenschaften geschildert haben, wird sich das als undurchführbar herausstellen. Und deshalb sollten Sie sich, wenn wir auch jede erforderliche Maßnahme ergreifen, auf eine Enttäuschung gefaßt machen.«
    »Das darf nicht sein. Aber alles, was ich sagen kann, wird wenig ausrichten. Meine Rache ist für Sie nicht von Bedeutung, doch obwohl ich zugebe, daß es ein sittlicher Mangel ist, gestehe ich ein, daß sie die verzehrende und einzige Leidenschaft meiner Seele darstellt. Mein Zorn läßt sich nicht in Worte fassen, wenn ich bedenke, daß der Mörder, den ich auf die Gesellschaft losgelassen habe, immer noch existiert. Sie schlagen mir meine berechtigte Forderung ab: mir bleibt nur noch ein Mittel, und ich widme mich, auf Leben oder Tod, seiner Vernichtung.«
    Als ich das ausrief, bebte ich vor einem Übermaß an Erregung, ich legte in meinem Verhalten eine Raserei und zweifellos etwas von jenem stolzen Ungestüm an den Tag, wie es einst die Märtyrer besessen haben sollen. Doch für einen Genfer Richter, dessen Sinn von ganz anderen Ideen als Aufopferung und Heldenmut erfüllt war, sah dieser hohe Gedankenflug sehr nach Wahnsinn aus. Er versuchte mich zu beschwichtigen wie eine Wärterin ein Kind und bezog sich auf meine Geschichte als die Auswirkung des Fieberwahns.
    »Mensch!« rief ich, »wie unwissend bist du in deinem Stolz auf deinen Verstand! Schweigen Sie, Sie wissen nicht, was Sie sagen.«
    Zornig und aufgewühlt stürzte ich aus dem Haus und zog mich zurück, um über ein anderes Vorgehen nachzudenken.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Meine gegenwärtige Lage war so, daß jedes bewußte Denken darin unterging und verendete. Die Wut riß mich fort. Die Rachsucht allein verlieh mir Kraft und Fassung, sie bestimmte meine Gefühle und erlaubte es mir, zu Zeiten berechnend und ruhig zu sein, wo sonst der Wahnsinn oder der Tod mein Teil gewesen wären.
    Mein erster Entschluß war, Genf für immer zu verlassen. Meine Heimat, die mir teuer war, als ich glücklich war und geliebt wurde, wurde mir jetzt, in meinem Elend, verhaßt. Ich versah mich mit Geldmitteln, dazu ein paar Schmuckstücken, die meiner Mutter gehört hatten, und reiste ab.
    Und jetzt begannen meine Irrfahrten, die erst mit dem Tod enden werden. Ich habe einen ungeheuren Teil der Erde durchmessen und alle Beschwernisse durchgemacht, die Reisenden in Wüsten und barbarischen Ländern begegnen. Wie ich es überlebt habe, weiß ich kaum. Manches Mal habe ich meine versagenden Glieder auf die sandige Einöde gebettet und den Tod herbeigefleht. Doch der Rachedurst hielt mich am Leben. Ich wagte nicht zu sterben und meinen Gegner lebend zurückzulassen.
    Als ich Genf verließ, war es meine erste Aufgabe, irgendeine Spur aufzunehmen, um den Schritten meines teuflischen Feindes folgen zu können. Doch ich hatte keinen festen Plan. Und ich streifte viele Stunden lang durch die Umgebung der Stadt, unsicher, welchen Weg ich einschlagen sollte. Als die Nacht hereinbrach, fand ich mich am Tor des Friedhofs, wo Wilhelm, Elisabeth und mein Vater ruhten. Ich trat ein und schritt dem Grabmal zu, das ihre Ruhestätte bezeichnet. Alles war still, bis auf das Laub der Bäume, das der Wind sachte bewegte. Die Nacht war fast schwarz, und der Schauplatz wäre sogar für einen Unbeteiligten feierlich und ergreifend gewesen. Es war, als huschten die Geister der Verschiedenen umher und würfen einen spürbaren, jedoch nicht sichtbaren Schatten auf den Trauernden.
    Der tiefe Schmerz, den dieser Ort anfangs wachgerufen hatte, wich rasch der Wut und Verzweiflung. Sie waren tot, und ich lebte. Auch ihr Mörder lebte, und um ihn zu vernichten, mußte ich mein ermattetes Dasein weiterschleppen. Ich kniete mich in das Gras, küßte die Erde und rief mit bebenden Lippen: »Bei der geweihten Erde, auf der ich knie, bei den

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