Frankenstein
ihn auftürmten, nicht weiterleben. Die Triebfedern seines Daseins gaben mit einem Mal nach: er vermochte sich nicht mehr von seinem Bett zu erheben, und in wenigen Tagen starb er in meinen Armen.
Was wurde danach aus mir? Ich weiß es nicht. Ich verlor jedes Empfindungsvermögen, und nur Ketten und Finsternis lasteten auf mir. Manchmal freilich träumte ich, ich wandere mit den Freunden meiner Jugend durch blühende Wiesen und liebliche Täler; doch ich erwachte und fand mich in einem Kerker. Dann stellte sich die Melancholie ein, doch allmählich gewann ich einen klaren Begriff meiner Heimsuchungen und meiner Lage, und daraufhin entließ man mich aus dem Gefängnis. Denn sie hatten mich für verrückt erklärt, und wie ich erfuhr, war viele Monate lang eine Einzelzelle meine Behausung gewesen.
Die Freiheit hätte für mich jedoch eine unnütze Gabe bedeutet, wäre nicht, als ich wieder zu Verstand kam, gleichzeitig der Rachedurst in mir erwacht. Als die Erinnerung an die durchlittenen Schicksalsschläge über mich hereinbrach, begann ich über ihre Ursache nachzudenken – das Ungeheuer, das ich geschaffen hatte, den elenden Dämon, den ich zu meiner Vernichtung in die Welt gesetzt hatte. Eine wahnwitzige Wut beherrschte mich, wenn ich an ihn dachte, und ich wünschte und betete inbrünstig, ich hätte ihn in meiner Reichweite, um an dem Verfluchten eine ungeheure, einzigartige Rache zu üben.
Mein Haß begrenzte sich nicht lange auf leere Wünsche. Ich dachte nun über die beste Möglichkeit nach, ihn zu fassen, und zu diesem Zweck begab ich mich etwa einen Monat nach meiner Entlassung zu einem Strafrichter der Stadt und eröffnete ihm, ich hätte eine Anklage vorzubringen. Der Mörder meiner Familie sei mir bekannt, und ich fordere ihn auf, seine ganze Autorität zur Ergreifung des Würgers einzusetzen.
Der Richter hörte mich aufmerksam und freundlich an: »Seien Sie versichert, mein Herr«, sagte er, »daß ich keine Mühe und Anstrengung scheuen werde, den Schurken aufzuspüren.«
»Ich danke Ihnen«, antwortete ich, »hören Sie sich also die Aussage an, die ich zu machen habe. Es ist freilich ein so seltsamer Bericht, daß ich befürchten müßte, keinen Glauben zu finden, hätte die Wahrheit nicht etwas an sich, womit sie, wie wunderlich sie auch erscheinen möge, dennoch Überzeugung weckt. Die Geschichte ist zu zusammenhängend, um mit einem Traum verwechselt zu werden, und ich habe kein Motiv zur Unwahrheit.« Während ich so zu ihm sprach, war mein Auftreten eindrucksvoll, aber ruhig. Ich hatte im Herzen den Entschluß gefaßt, das Geschöpf, das mich zugrunde gerichtet hatte, bis zum Tod zu verfolgen, und diese Absicht linderte meine Qual und versöhnte mich vorübergehend mit dem Leben. Ich erzählte nun meine Geschichte, knapp und genau, jedoch nachdrücklich, gab die Daten exakt an und verlor mich nie in Schmähungen oder Klagerufen.
Der Richter erschien zunächst vollkommen ungläubig, doch im Laufe meiner Schilderung wurde er aufmerksamer und interessierter. Ich sah ihn manchmal vor Entsetzen schaudern, dann wieder zeichnete sich lebhafte Überraschung auf seinem Gesicht ab, aber nicht mehr mit Ungläubigkeit untermischt.
Als ich meinen Bericht beendet hatte, sagte ich: »Das ist das Wesen, das ich anklage, und ich fordere Sie auf, zu seiner Ergreifung und Bestrafung Ihre ganze Macht aufzubieten. Es ist Ihre Pflicht als Richter, und ich glaube und hoffe, daß Ihre Gefühle als Mensch sich in diesem Fall nicht gegen die Ausübung dieses Amtes sträuben.«
Diese Worte riefen in der Miene meines Zuhörers eine beträchtliche Veränderung hervor. Er hatte meine Geschichte mit jener Art Halbglauben angehört, den man einer Sage von Geistern und übernatürlichen Erscheinungen schenkt. Doch als er sich aufgefordert sah, daraufhin in offizieller Eigenschaft zu handeln, kehrte die ganze Flut seiner Ungläubigkeit zurück. Er antwortete jedoch milde: »Ich würde Ihnen bei der Verfolgung bereitwillig jeden Beistand leisten. Doch das Geschöpf, von dem Sie sprechen, scheint über Kräfte zu verfügen, die aller meiner Bemühungen spotten dürften. Wer kann einem Tier folgen, das den Gletscher überqueren und Höhlen und Spalten bewohnen kann, in die kein Mensch sich hineinwagen würde? Überdies sind seit der Begehung seiner Verbrechen einige Monate vergangen, und niemand kann ahnen, wohin er sich begeben hat oder in welcher Gegend er jetzt haust.«
»Ich zweifle nicht daran, daß er sich im
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