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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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all die
Instrumente vorzeigt, mit denen er dann geschunden und hingerichtet
werden soll. Ich erschauerte bei seinen Worten, konnte aber meine
Pein nicht zeigen. Clerval, der sehr rasch die Gedanken und Gefühle
anderer zu erraten verstand, lenkte dann das Gespräch ab, in dem er seine vollständige
Unkenntnis dieser Dinge entschuldigend erwähnte. Ich dankte meinem
treuen Freunde innerlich, durfte aber doch nicht diesem Gefühle mit
Worten Ausdruck geben. Er war offenbar überrascht, versuchte aber
niemals, mein Geheimnis zu erforschen. Und obschon ich ihn
grenzenlos liebte und verehrte, brachte ich es doch nicht übers
Herz, ihm das Ereignis anzuvertrauen, das immer in meiner Seele
gegenwärtig war und das vielleicht auf einen andern einen noch
tieferen Eindruck machen konnte als auf mich selbst.
    Herr Krempe sprach in wesentlich anderer Weise, und in meiner
empfindlichen, seelischen Verfassung taten mir seine rauhen,
ungelenken Lobsprüche noch weher als die feinen, anerkennenden
Worte Waldmanns. »Hol der Teufel den Jungen!« schrie er. »Ich
versichere Ihnen, Herr Clerval, er hat uns alle ausgestochen. Ja,
ja, schauen Sie nur; deswegen ist es doch wahr. Ein junger Dachs,
der noch ein paar Jahre vorher an Cornelius Agrippa glaubte, wie an
das Evangelium, ist nun uns allen an der ganzen Universität voran.
Nun, nun,« fuhr er fort, als er den leidenden Ausdruck in meinem
Gesichte bemerkt hatte, »ich weiß, Herr Frankenstein ist
bescheiden, wie es sich für junge Leute besonders gut ziemt. Junge
Leute dürfen sich noch nicht allzuviel zutrauen, wissen Sie, Herr
Clerval. Auch ich war bescheiden, wie ich noch jung war; aber das
wird ja dann später alles anders.«
    Herr Krempe war damit auf ein Thema übergegangen, das mir nicht
so unangenehm war, nämlich auf einen Lobhymnus seiner selbst.
    Clerval hatte meine Neigung zu den Naturwissenschaften nie
geteilt und auch seine Lektüre hatte sich immer wesentlich von der
meinen unterschieden. Er hatte die Universität bezogen mit der
festen Absicht, orientalische Philologie zu studieren und sich
damit einen Lebensberuf zu schaffen. Das Persische, Arabische und
Sanskrit waren seine Lieblingssprachen, und es war ihm ein
Leichtes, mich zu veranlassen, daß auch ich diese Fächer belegte.
Müßiggang war mir von jeher ein Greuel gewesen, und gerade jetzt,
wo ich meine früheren Studien wieder zu hassen begann und alles zu vergessen wünschte, war es mir lieb, in
meinem Freunde einen Arbeitsgenossen zu haben und in den geistigen
Schätzen des Orients nicht nur Belehrung, sondern auch Ablenkung zu
finden. Es war mir nicht, wie ihm, darum zu tun, mir genaue,
detaillierte Kenntnisse zu erwerben, sondern ich wollte mich nur
der Zerstreuung halber damit beschäftigen. Ich las nur um des
Inhalts willen und meine Mühe machte sich reichlich belohnt; ihr
Ernst ist sanft und ihre Freude erhebend, wie ich es in keiner
anderen Literatur kennen lernte. Wo man diese orientalischen
Schriften liest, meint man, das Leben fließe nur im linden
Sonnenlichte und in berauschendem Rosenduft dahin. Wie verschieden
sind dagegen die herben, heroischen Dichtungen der Griechen und
Römer!
    Der Sommer floß dahin und meine Rückkehr nach Genf wurde auf
Ende Herbst festgesetzt. Durch verschiedene Zufälligkeiten kam es
aber nicht dazu, und unterdessen brach der Winter herein, der mit
Schnee und Eis die Straßen unbenutzbar machte, so daß ich meine
Abreise auf den folgenden Frühling verschieben mußte. Dieser neue
Aufschub fiel mir sehr schwer, denn ich sehnte mich danach, meine
Heimat und meine Lieben zu sehen. Ich hatte meine Abreise auch
deswegen verzögert, weil ich Henry nicht ganz allein in der fremden
Stadt lassen, sondern ihn erst noch mit einigen Einwohnern
derselben bekannt machen wollte. Wir verbrachten den Winter ganz
vergnügt, und der Frühling, der ungewöhnlich spät einsetzte,
entschädigte uns mit allen Mitteln für sein Säumen.
    Schon war es Mai geworden und ich erwartete Tag für Tag den
Brief aus der Heimat, der meine endgültige Abreise festlegen
sollte. Henry schlug mir vor, mit ihm eine Fußtour in die Umgebung
von Ingolstadt zu machen, damit ich mich von dem Landstriche, in
dem ich einige Zeit gelebt, verabschieden könne. Ohne Zögern
stimmte ich zu, denn ich war ein großer Freund körperlicher
Übungen, außerdem war ja Clerval mein Genosse auf meinen
Streifereien in der prächtigen Bergwelt meiner Heimat gewesen.
    Vierzehn Tage blieben wir fort. An Geist und
Körper hatte

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