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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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wohltuender Schlummer hatte sich meiner bemächtigt und mich
von meinen qualvollen Gedanken erlöst, als ich plötzlich wieder
aufgeschreckt wurde. Ein hübsches Kind kam auf den Platz
zugelaufen, wo ich mich verborgen hielt. Als ich es erblickte,
tauchte in mir eine Idee auf. Das Kind war noch ohne Vorurteil und
hatte noch zu kurz gelebt, um meine Mißgestalt als etwas
Schreckliches aufzufassen. Wenn es mir also gelänge, den Kleinen zu
ergreifen und ihn mir als Genossen und Freund heranzuziehen, würde
mein Dasein nicht mehr so traurig und ich nicht mehr so allein sein
auf der Erde.
    Ich ergriff deshalb den Knaben, als er an meinem Versteck
vorbeiging, und zog ihn an mich. Kaum hatte er mich erblickt,
schlug er die Hände vor das Gesicht und stieß einen schrillen
Schrei aus. Ich riß ihm die Hände mit Gewalt von den Augen und
sagte: »Mein Kind, was soll das bedeuten? Ich will dir nichts tun;
höre mich an!«
    Doch er wehrte sich aus Leibeskräften. »Laß mich, du Ungeheuer!«
schrie er. »Du häßlicher Mann! Du willst mich auffressen und mich
in Stücke zerreißen, du bist ein Menschenfresser laß mich, oder ich
sage es Papa!«
    »Aber, mein Liebling, du wirst deinen Vater nie wieder sehen, du
kommst mit mir.«
    »Du greulicher Mensch, laß mich. Papa ist Richter. Er heißt
Frankenstein. Er wird dich bestrafen. Du mußt mich loslassen!«
    »Frankenstein heißt du? Dann gehörst du also zu meinen Feinden,
zu dem, dem ich ewige Rache geschworen. Du wirst mein erstes Opfer
sein.«
    Das Kind wehrte sich verzweifelt und schleuderte mir
Schimpfnamen ins Gesicht, daß mein Herz erstarrte. Ich drückte ihm
die Kehle zu, um es zum Schweigen zu bringen, und im nächsten
Augenblick taumelte es tot zu meinen Füßen nieder.
    Ich sah auf mein Opfer und mein Herz klopfte in höllischem
Triumph. Ich klatschte in die Hände und rief: »Auch ich kannVerzweiflung säen; meine Feinde sind nicht
unverletzlich. Dieser Mord wird ihnen nahe gehen und mit tausend
anderen Dingen werde ich sie quälen und vernichten.«
    Ich blickte noch einmal auf den kleinen Leichnam und sah an
seinem Halse etwas Glitzerndes hängen. Ich griff danach. Es war das
Bildnis eines wunderschönen Weibes, dessen Liebreiz mich trotz
meiner Wut bestrickte. Einige Augenblicke starrte ich auf die
dunklen Augen, die von langen Wimpern beschattet wurden, und auf
die frischen, roten Lippen. Ich wußte, daß ich für immer des
Glückes entbehren mußte, das solch liebliche Geschöpfe gewähren,
und daß das reizende Gesicht, hätte die Trägerin mich sehen können,
im nächsten Augenblick den Ausdruck der Angst und des Ekels
angenommen hätte.
    Brauche ich dir zu sagen, daß dieser Gedanke meinen Zorn von
neuem anstachelte? Ich wundere mich selbst, daß ich nicht, anstatt
meinen Schmerz durch lautes Brüllen hinauszuschreien, mich auf die
Menschheit stürzte, um sie zu vernichten.
    Ich verließ die Stelle, auf der der Mord geschehen war, und
suchte nach einem anderen Versteck, wo ich vor Entdeckung sicher
war. Ich kam zu einem Stall, der mir leer schien. Als ich eintrat,
erblickte ich ein Mädchen, das auf einem Strohhaufen schlief. Sie
war jung und schön, wenn auch nicht so schön wie das Weib, dessen
Bild ich noch in der Hand trug. Aber sie blühte in der ganzen
Schönheit und Frische der Jugend. Hier lag eines der beglückenden
Geschöpfe, beglückend für alle außer mir. Ich beugte mich über sie
und flüsterte: »Wach auf, Süße, dein Liebster ist da, dein
Liebster, der sein Leben dafür gäbe, um einen Liebesblick aus
deinen Augen zu empfangen, – wach auf.«
    Die Schläferin bewegte sich und ein Schauer überrieselte meinen
Leib. Sollte ich sie wirklich wecken? Sie hätte jedenfalls bei
meinem Anblick furchtbar geschrieen und man hätte den Mörder
gefaßt. Der Gedanke machte mich rasend; nicht ich sollte leiden,
sondern sie. Ich habe den Mord begangen, weil ich das für immer
missen mußte, was sie zu gewähren hatte. Sie selbst ist an meinem
Verbrechen mitschuldig und soll die gerechte Strafe
dafür erleiden! Aus Felix' Unterricht an
seine Geliebte hatte ich von den blutigen Gesetzen der Menschen
erfahren und wußte, wie ich Unheil säen konnte. Ich steckte der
Schläferin vorsichtig das Porträt in eine ihrer Kleidertaschen, und
als sie sich bewegte, floh ich.
    Einige Tage trieb ich mich noch in der Umgebung des Platzes
umher, wo sich das alles ereignet hatte. Ich wußte nicht, sollte
ich es noch versuchen mit dir zusammenzukommen oder meinem

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