Frankenstein oder Der moderne Prometheus
war eine entsetzliche Nacht, die ich da draußen verbrachte.
Die eiskalten Sterne funkelten, als wollten sie mich verhöhnen, und
die Bäume schüttelten ihre nackten Arme über mir. Zuweilen ertönte
der Schrei eines Vogels durch die Stille. Alles war ruhig und
friedlich außer mir selbst, denn ich trug, wie der böse Feind, eine
ganze Hölle in meiner Brust. Und da ich nirgends Liebe finden
konnte, so sehnte ich mich danach, Zerstörung und Verwüstung rings
um mich zu verbreiten und mich dann, auf den Trümmern sitzend,
darüber zu freuen.
Aber diese Gefühle waren zu mächtig, als daß sie von allzulanger
Dauer hätten sein können; ich war auch körperlich zu sehr ermüdet.
Ich sank auf den feuchten Boden nieder und grübelte über mein Elend
nach. Unter den Millionen Menschen war nicht einer, auch nicht
einer, der mir geholfen oder auch nur Mitleid mit mir gehabt hätte, und ich sollte gegen meine
Feinde mild und gut sein? Nein! In diesem Augenblick erklärte ich
dem ganzen verruchten Geschlecht Krieg bis aufs Messer, und
besonders dem, der mich gebildet und an all dem unsäglichen Leid
Schuld trug.
Nach Sonnenaufgang hörte ich Menschenstimmen in der Nähe des
Hauses und ich wußte, daß ich diesen Tag wohl nicht mehr in meinen
Schuppen würde zurückkehren können. Ich versteckte mich deshalb in
ein wirres Dickicht und beschloß, die kommenden Stunden mich ganz
der Betrachtung meiner Lage hinzugeben.
Der helle Sonnenschein und die reine Luft gaben mir einigermaßen
wieder das Gefühl der Ruhe. Und wenn ich mir so überlegte, was in
de Laceys Hause vorgefallen war, konnte ich mir den Vorwurf nicht
ersparen, daß ich zu voreilig mit meinen Schlüssen gewesen war.
Jedenfalls hatte ich recht unklug gehandelt. Offenbar hatte die
Unterhaltung mit mir dem alten Manne gefallen und es hätte gar
keine Eile gehabt, mich den Blicken der Jungen auszusetzen. Ich
hätte erst versuchen sollen, den alten de Lacey an mich zu fesseln
und mich dann den jungen Leuten zu entdecken, wenn sie genügend auf
mein Kommen vorbereitet waren. Aber ich meinte, daß der Fehler
wieder gut zu machen wäre, und beschloß nach reiflicher Überlegung,
zu dem Hause zurückzukehren, den Alten aufzusuchen und ihn durch
meine eindringlichen Worte mir geneigt zu machen.
Diese Gedanken beruhigten mich und am Nachmittag versank ich in
tiefen Schlaf. Friedliche Träume wollten mir allerdings nicht
nahen, dazu war mein Blut noch zu erregt. Die schrecklichen Bilder
des vorhergehenden Tages schwebten mir immer noch vor Augen. Ich
sah, wie die Frauen flüchteten und Felix mich vom Vater wegriß. Ich
erwachte, von Grauen geschüttelt. Da es schon Nacht geworden war,
kroch ich aus meinem Versteck und begab mich auf die
Nahrungssuche.
Nachdem ich meinen Hunger gestillt, lenkte ich meine Schritte
auf wohlbekannten Pfaden zu dem Hause de Laceys. Dort war es still. Ich kroch in den Schuppen und
erwartete mit Bangen die Stunde, zu der die Familie sich gewöhnlich
zu erheben pflegte. Diese Stunde war nun längst vorüber. Die Sonne
stieg höher und höher, aber von den Hausbewohnern ließ sich niemand
blicken. Ich zitterte an allen Gliedern und die bange Frage quälte
mich, ob denn da kein Unglück geschehen sei. Im Hause war es
finster und nicht das geringste Geräusch war zu vernehmen. Die
Ungewißheit verursachte mir gräßliche Qualen.
Plötzlich kamen zwei Landleute des Weges. Sie blieben vor dem
Hause stehen und begannen, heftig gestikulierend, eine aufgeregte
Unterhaltung. Ich konnte sie nicht verstehen, da sie sich in der
Sprache des Landes unterhielten, die ja eine ganz andere war, als
die meiner Freunde. Einige Zeit später kam Felix mit einem
Begleiter. Ich war darüber sehr erstaunt, denn ich wußte, daß er
das Haus heute noch nicht verlassen hatte, und konnte es kaum
erwarten, aus seinem Gespräche zu erfahren, was da eigentlich
vorgegangen sei.
»Bedenkt Ihr denn nicht,« sagte sein Begleiter zu ihm, »daß Ihr
die Miete für drei Monate umsonst zu zahlen habt und außerdem aller
Eurer Gartenfrüchte verlustig geht? Ich will mich nicht ungerecht
bereichern und bitte Euch, noch ein paar Tage die Sache zu
überlegen.«
»Es ist ganz zwecklos,« erwiderte Felix, »wir können nie und
nimmermehr dieses Haus bewohnen. Das Leben meines Vaters ist seit
jenem schrecklichen Ereignis, von dem ich Euch berichtet, in
äußerster Gefahr, und mein Weib und meine Schwester haben sich noch
nicht von ihrem Entsetzen erholt. Ich bitte Euch, nicht weiter
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