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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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gewisse Logik lag. Aus seiner Erzählung und aus den
Gefühlen, die er mir geoffenbart, konnte ich entnehmen, daß er
ursprünglich ein zartes Innenleben besaß. Schuldete ich ihm nicht,
nachdem ich ihn einmal geschaffen, auch all das Glück, das ich ihm
bescheren konnte? Er merkte, daß ich schwankte, und fuhr fort:
    »Wenn du tust, um was ich dich bitte, sollst weder du noch
irgend ein anderes menschliches Wesen fürderhin noch etwas von mir
hören. Ich will in die weiten Urwälder Südamerikas gehen. Meine
Nahrung ist nicht die blutige der Menschen. Ich vernichte nicht
Lämmer und Ziegen, um meinen Hunger zu stillen; Nüsse und Beeren
genügen mir. Da meine Genossin ebenso beschaffen sein wird wie ich,
wird auch sie mit der gleichen Nahrung vorlieb nehmen. Wir werden
uns unser Lager aus trockenen Blättern bereiten und die Sonne wird
uns ebenso warm scheinen wie den Menschen. Das Bild, das ich dir
von unserem künftigen Leben entwarf, ist gewiß ein friedliches und
harmloses, und nur in verbohrter Grausamkeit und starrem Eigensinn
kannst du mir die Gewährung meiner Bitte versagen. Erbarmungslos
warst du bisher gegen mich, aber nun sehe
ich deine Augen in einem Schimmer von Mitgefühl leuchten. Laß
diesen Augenblick nicht vorübergehen, ohne mir zu versprechen, daß
du das tun wirst, um was ich dich bat.«
    »Du hast mir ja allerdings versprochen, mit deiner Genossin die
Wohnstätten der Menschen zu fliehen und dich in jenen Gegenden
niederzulassen, wo nur die Tiere der Wildnis deine Wege kreuzen.
Aber wer gibt mir Gewißheit, daß du, der du dich doch so sehr nach
der Liebe der Menschen sehnst, es in deinem Asyl aushalten wirst?
Du wirst zurückkehren und dich wieder den Menschen zu nähern
versuchen und wieder auf ihre Abneigung stoßen. Dein Haß wird von
neuem auflodern und du wirst dann nicht mehr allein sein bei deinem
Zerstörungswerke. Und das darf nicht sein; gib dir keine Mühe mehr,
ich darf nicht ja sagen.«
    »Wie unverlässig sind doch eure Gefühle! Eben noch warst du fast
gewonnen und nun verschließest du dich plötzlich wieder meinen
Bitten. Ich schwöre dir bei der Erde die mich trägt, bei dir
selbst, mein Schöpfer, daß ich mit meiner Genossin weit, weit
fortgehen werde von den Plätzen, wo Menschen wohnen. Mein Haß wird
dann verlöschen, wenn ich einmal nur Wohlwollen gegen mich sehe.
Mein Leben wird in Ruhe dahinfließen, und wenn ich sterben muß,
dann kann ich dankbar dessen gedenken, der mich geschaffen.«
    Seine Worte hatten eine merkwürdige Wirkung. Er tat mir leid und
ich hatte das Bedürfnis ihm zu helfen. Aber wenn ich ihn ansah,
diese sprechende und wandelnde Fleischmasse, dann ergriff Ekel und
Entsetzen mein Herz. Ich versuchte diese Gefühle der Abneigung zu
unterdrücken. Dann sagte ich mir, daß ich ihn ja nicht zu lieben
brauchte, aber die Verpflichtung hätte, ihn nach meinen Kräften
glücklich zu machen. Und es war ja wenig genug, was er
forderte.
    »Du hast geschworen, niemand mehr etwas zu Leide zu tun,« sagte
ich. »Aber hast du denn nicht schon so viel Bosheit gezeigt, daß
ich dir mit Recht mißtrauen darf? Kann das nicht eine
Vorspiegelung sein, um deine Grausamkeiten
nur noch in erhöhtem Maße ausüben zu können?«
    »Was soll das heißen? Ich will nicht mit mir scherzen lassen,
sondern ich verlange eine strikte Antwort. Wenn ich nicht Liebe
finde, ist Haß und Verbrechen mein gutes Recht. Liebe allein vermag
das Schlimme, das in mir lauert, zu verhüten, und ich werde ein
Geschöpf werden, von dessen Existenz niemand eine Ahnung hat. Meine
Verbrechen sind nur Früchte der verhaßten Einsamkeit und meine
Tugenden werden dann zur vollen Geltung kommen, wenn ich mit einem
Anderen mein Leben teilen kann. Ich werde mit einem fühlenden Wesen
zusammen sein und meine Existenz wird ein Glied bilden in der Kette
der Existenzen und Ereignisse, wie ich es mir erhofft.«
    Ich dachte noch eine Zeitlang über alles nach, was er mir
erzählt hatte, und erwog das Für und Wider. Ich war mir klar, daß
sein ursprünglich gutmütiges Wesen durch die schlechte Behandlung
von Seiten aller, die ihm begegneten, verdorben worden war. Und in
meinen Erwägungen spielten seine außergewöhnliche Kraft und die
Drohungen, die er ausgestoßen, eine bestimmende Rolle. Ein Wesen,
das, wie er, in den Eishöhlen der Gletscher wohnen und sich vor
allen Verfolgungen in die unzugänglichsten Schroffen der Gebirge
flüchten konnte, durfte nicht unterschätzt werden. Nach längerem
Zögern stand

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