Frankenstein oder Der moderne Prometheus
ich in vollkommenster Einsamkeit meine
Zuflucht. Ich verbrachte ganze Tage allein in einem Boote auf dem
See, sah dem Fluge der Wolken zu und lauschte dem leisen Plätschern
der Wellen am Kiel. Die frische Luft und der warme Sonnenschein
verfehlten auch nie ihre Wirkung auf mein
Gemüt und ich konnte dann bei meiner Heimkehr die Begrüßung der
Meinen immer mit leichterem Herzen und mit froherem Sinne
entgegennehmen.
Als ich wieder einmal von einem solchen Ausflug zurückkehrte,
nahm mich mein Vater auf die Seite und sagte:
»Ich habe mit großer Freude gemerkt, mein lieber Sohn, daß dein
früherer Frohsinn zurückkehrt und du wieder der wirst, der du einst
warst. Und dennoch bist du noch immer nicht ganz glücklich und
meidest unsere Gesellschaft. Längere Zeit konnte ich mir keinen
Grund dafür denken. Gestern aber kam mir eine Idee, und wenn etwas
daran ist, so beschwöre ich dich, es mir zu gestehen.
Rücksichtnahme in dieser Sache ist gar nicht angebracht, sondern
würde nur noch mehr Unheil über uns bringen.«
Ich zitterte bei dieser Einleitung, und mein Vater fuhr
fort:
»Ich muß dir ja gestehen, lieber Viktor, daß ich deine
Verbindung mit unserer lieben Elisabeth stets als die Krönung
unseres Glücks anzusehen pflegte, als die Freude meines
herannahenden Alters. Ihr habt einander von frühester Jugend an
gern gehabt, habt mit einander gelernt und scheint nach Anlagen und
Geschmack wie für einander bestimmt. Aber so blind sind wir
Menschen. Das, was ich für das beste hielt, um meine Zukunftspläne
zu fördern, war vielleicht am meisten geeignet ihnen
entgegenzuarbeiten. Du hast sie jedenfalls nur als Schwester lieben
gelernt und hegst gar nicht den Wunsch, sie als deine Frau zu
besitzen. Ich glaube eher, daß du eine andere liebgewonnen hast und
daß dich der Kampf deiner Liebe gegen die von dir bereits
übernommene Pflicht so elend macht.«
»Du befindest dich im Irrtum, lieber Vater. Ich liebe Elisabeth
herzlich und aufrichtig. Ich habe nie ein Weib kennen gelernt, das
meine Bewunderung und Zuneigung so erregt hätte, wie es Elisabeth
tut. Der Gedanke an meine Zukunft hängt eng mit dem an meine
Verbindung mit ihr zusammen.«
»Das, was du mir sagst, macht mir mehr Freude, als ich sie seit
langem empfunden. Wenn es so ist, dann werden wir sicherlich
glücklich werden, wenn auch über der Gegenwart noch die
düsteren Schatten der jüngsten Ereignisse
lagern. Der Kummer hat uns alle so in seinen Bann gezogen, daß ich
mit allen Mitteln ihn zu zerstreuen suchen muß. Sage mir also, ob
du gegen die baldige Hochzeit etwas einzuwenden hast. Die unseligen
Ereignisse lassen mich vorzeitig alt und schwach werden; und wenn
ich das Glück noch erleben soll, darfst du nicht mehr lange zögern,
es sei denn, daß irgendwelche Dispositionen bestehen, die dir
zunächst die Heirat noch unerwünscht erscheinen lassen. Nicht als
ob ich dich drängen wollte. Nimm meine Worte so auf, wie sie
gemeint sind, und antworte mir frei und offen.«
Ich hatte meinem Vater schweigend zugehört und war lange nicht
imstande, irgendetwas zu erwidern. In rasender Eile schossen mir
alle möglichen Gedanken durch den Kopf und ich war unfähig, zu
einem endgültigen Entschluß zu kommen. Die Idee meiner sofortigen
Verbindung mit Elisabeth mußte mir unter den obwaltenden
Verhältnissen natürlich Sorge und Unbehagen einflößen. Ich war
durch ein feierliches Versprechen gebunden, das noch nicht
eingelöst war, aber auch nicht gebrochen werden durfte. Oder wenn
ich dies dennoch wagte, was stand alles mir und meinen Lieben
bevor? Konnte ich das Freudenfest begehen mit der furchtbaren Last,
die mir den Nacken beugte und mich zu Boden drückte? Ich mußte
zuerst meiner Verpflichtung nachkommen und den Dämon mit seiner
Genossin weit in die Welt hinausgesandt haben, ehe ich daran denken
konnte, in der ersehnten Verbindung den lang entbehrten Frieden zu
finden.
Ich überlegte, ob es notwendig sei, selbst nach England zu
reisen, oder ob es genüge, brieflich mit jenem Philosophen in
Verbindung zu treten, dessen Entdeckungen für das Gelingen meines
Werkes von Bedeutung war. Die letztere Art, mir die gewünschten
Aufschlüsse zu verschaffen, erschien mir ungenügend und langwierig;
außerdem hatte ich eine unüberwindliche Scheu davor, die gräßliche
Arbeit in meines Vaters Hause vorzunehmen, wo ich tagtäglich mit
meinen Lieben zusammen war. Ich wußte, daß tausend kleine
Zufälligkeiten mein Geheimnis aufdecken konnten und daß
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