Frankenstein oder Der moderne Prometheus
meinen
Angehörigen all die Erregungen und
Gemütsbewegungen nicht entgehen würden, die meine grauenerregende
Beschäftigung unbedingt im Gefolge haben mußte. Es war also
unumgänglich nötig fortzugehen, um mein Versprechen zu erfüllen.
Wenn ich einmal angefangen hatte, dann ging es ja rasch vorwärts
und ich konnte ruhig und zufrieden in den Schoß meiner Familie
zurückkehren. Denn dann war auch der unheimliche Dämon über alle
Berge oder aber – das wäre mir das Liebste gewesen – er war durch
irgend einen Zufall vernichtet worden und ich meiner Sklaverei für
immer ledig.
Das waren die Gesichtspunkte, die mir die Antwort an meinen
Vater diktierten. Ich äußerte den Wunsch, vorher noch England
besuchen zu dürfen. Ich verbarg ja meine wahren Beweggründe
sorgfältig, wußte aber mein Anliegen doch so dringend vorzubringen,
daß mein Vater sich einverstanden erklärte. Er freute sich, daß ich
nach einer so langen Periode tiefster Schwermut, die bereits an
Irrsinn grenzte, wieder die Kraft gefunden hatte, eine solche Reise
zu planen, und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die immer wechselnden
Bilder und die mannigfachen Zerstreuungen imstande sein würden,
mich gänzlich wiederherzustellen.
Wie lange ich fortbleiben wollte, blieb vollkommen mir
überlassen; man hielt einige Monate, höchstens aber ein Jahr für
ausreichend. In seiner großen Güte hatte mein Vater auch schon für
einen Reisegenossen gesorgt. Ohne mich vorher zu benachrichtigen,
hatte er in Übereinstimmung mit Elisabeth es so eingerichtet, daß
Clerval in Straßburg mit mir zusammentraf. Allerdings störte das
insofern meine Pläne, als ich mir zur Erfüllung meiner Aufgabe
vollkommene Ungestörtheit gewünscht hätte. Jedenfalls konnte im
Anfang meiner Reise die Anwesenheit meines Freundes keine Störung
bedeuten und hatte das Gute, daß mir über manche Stunde trüben
Nachgrübelns hinweggeholfen wurde. Und dann war ja Henry ein Schutz
gegen Einmischung meines Feindes. Würde dieser nicht mein
Alleinsein öfters benützt haben, um mir seine verhaßte Gesellschaft
aufzudrängen, um mich anzuspornen und die
Fortschritte meiner Arbeit zu kontrollieren?
Es stand also fest, daß ich nach England reisen sollte, und
ebenso fest stand es, daß ich sofort nach meiner Rückkehr Elisabeth
heimführte. Mein Vater war nicht mehr so jung, um Verzögerungen
gleichmütig hinzunehmen. Es wartete meiner die Entschädigung für
all das Unbeschreibliche, was ich erlitten, und in den Armen meines
Weibes durfte ich dann meiner drückenden Sklaverei vergessen.
Während ich meine Reisevorbereitungen traf, erfüllte mich der
Gedanke mit Angst und Sorge, daß ich meine Lieben den Angriffen des
unbekannten Feindes überließ, der vielleicht durch meine Abreise
gereizt, deren Gründe er nicht wußte, sich an mir würde rächen
wollen. Andererseits hatte er mir versprochen, mir überallhin zu
folgen. Sollte er vor einer Reise nach England zurückschrecken? Der
Gedanke daran war an sich schrecklich, aber es lag für mich eine
gewisse Beruhigung darin, da ich ihn aus der Nähe der Meinen
gerückt wußte. Ich mochte gar nicht daran denken, daß das Gegenteil
meiner Kombinationen eintreten könnte. Jedenfalls ließ ich mich von
der Eingebung des Augenblicks leiten, die mir überzeugend
zuflüsterte, daß der Dämon mir folgen und meine Familie unbehelligt
lassen werde.
Es war in den letzten Tagen des September, als ich aufs neue
mein Vaterhaus verließ. Die Reise war mein eigener Wille gewesen
und deshalb fügte sich Elisabeth darein. Aber sie litt unter dem
Gedanken, daß ich, fern von ihr, wieder eine Beute des Kummers und
des Grames werden könnte. Ihre Idee war es gewesen, mir Clerval als
Reisebegleiter zuzugesellen, denn wo eines Mannes Verstand schon
lange zu Ende ist, findet eine kluge Frau immer noch Wege. Sie
flehte mich an, recht rasch wieder heimzukehren, und sagte mir dann
mit tränenerstickter Stimme Lebewohl.
Ich stieg in den Wagen, der mich entführen sollte. Ich vergaß,
wohin ich ging, und ließ gleichgültig alles über mich ergehen. Das
Einzige, was mir noch einfiel, war die Anordnung, daß meine chemischen Apparate eingepackt und mir
nachgesandt werden sollten. In trauriges Nachdenken versunken
durchfuhr ich die herrliche Gebirgslandschaft; meine Augen waren
starr und nicht fähig, irgend welche Eindrücke zu vermitteln. Ich
dachte nur an das Ziel meiner Reise und das Werk, das meiner
wartete.
Einige Tage vergingen so in trostloser
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