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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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Verpackung meiner chemischen
Utensilien. Zu diesem Zwecke war ich gezwungen, das Zimmer zu
betreten und all die schauerlichen Dinge nochmals zu berühren,
deren Anblick mich schon krank machen würde. Am nächsten Morgen
kurz nach Tagesanbruch raffte ich mich auf und öffnete die Tür
meines Laboratoriums. Die Reste des fast fertigen Geschöpfes, das
ich zerstört hatte, lagen zerstreut auf der Diele umher und ich
hatte das Gefühl, als hätte ich ein lebendes Wesen zerstückelt. Ich
mußte einen Augenblick innehalten, um Mut zu fassen, und trat dann
ein. Mit zitternden Händen trug ich die Instrumente aus dem Zimmer.
Ich durfte aber auch die Überbleibsel meines Werkes nicht liegen
lassen, um nicht den Schrecken und den Argwohn der Inselbewohner zu
erregen. Ich legte deshalb alles in einen Korb und einige schwere
Steine darauf, weil ich beabsichtigte, in der Nacht das Ganze ins
Meer zu versenken. Dann setzte ich mich an den Strand, wo ich meine
Instrumente reinigte und verpackte.
    In meinem Inneren hatte sich, seit der Dämon mich heimgesucht,
ein vollkommener Wandel vollzogen. Vorher hatte ich in düsterer
Resignation das Versprechen, das ich gegeben, als etwas angesehen,
das unbedingt gehalten werden müsse. Nun aber war es wie ein
Schleier von meinen Augen gefallen und ich meinte, seit langer Zeit
zum ersten Male wieder ganz klar zu sehen. Der Gedanke, mein Werk
nochmals von vorn zu beginnen, war mir dabei gar nicht gekommen.
Die Drohungen des Dämons lasteten zwar auf meinem Gemüt, aber es
fiel mir gar nicht ein, daß es in meiner Macht lag, diese
gegenstandslos zu machen. Es stand in mir unerschütterlich fest,
daß ich mit der Schöpfung eines zweiten Wesens mir eine durchaus
egoistische und grausame Handlungsweise hätte zuschulden kommen
lassen, und ich wies jeden, auch den leisesten Gedanken zurück, der
mich in meiner Überzeugung hätte wankend machen können.
    Morgens zwischen zwei und drei Uhr ging der
Mond auf. Ich bestieg mit meinem Korbe ein kleines Boot und fuhr
etwa vier Meilen weit in die See hinaus. Es war totenstill. Einige
Schiffe segelten landwärts, aber ich hielt mich möglichst weit von
ihnen entfernt. Ich mied so ängstlich das Antlitz meiner
Mitmenschen, als sei ich daran, ein schweres Verbrechen zu begehen.
Als der Mond einige Zeit hinter einer dicken, schwarzen Wolke
verschwand, hielt ich den richtigen Augenblick für gekommen und
schleuderte den Korb mit seinem unheimlichen Inhalt in das dunkle
Wasser. Gurgelnd sank er in die Tiefe und ich ruderte dann eilends
davon. Der Himmel hatte sich unterdessen überzogen, aber die Luft
war rein und kalt, da sich eine steife Nordostbrise erhob. Die
Frische tat mir wohl und erfüllte mich mit Behagen, so daß ich
beschloß, noch einige Zeit auf dem Wasser zu bleiben. Ich zog die
Ruder ein und legte mich auf den Boden des Schiffes. Es war ganz
finster geworden und das Plätschern der Wellen am Kiel tönte
beruhigend an mein Ohr, sodaß ich bald in tiefen Schlaf
versank.
    Wie lange ich mich da draußen hatte treiben lassen, weiß ich
nicht. Jedenfalls stand die Sonne schon hoch am Himmel, als ich die
Augen öffnete. Der Wind war stärker geworden und schwere Wellen mit
weißen Kämmen drohten mein kleines Boot zum Kentern zu bringen. Ich
orientierte mich nach der Sonne und stellte fest, daß der Nordost
noch anhielt und mich weit von der Küste abgetrieben zu haben
schien. Zuerst beabsichtigte ich meinen Kurs zu ändern, erkannte
aber, daß das unmöglich sei, weil bei diesem Versuch sofort mein
Boot vollaufen mußte. Ich mußte mich also vor dem Winde treiben
lassen. Ich muß gestehen, daß mir ziemlich unbehaglich zu Mute war.
Ich hatte keinen Kompaß bei mir, und da ich mit der Geographie
jener Landstriche nicht sehr vertraut war, bildete die Orientierung
nach der Sonne nur einen sehr unzuverlässigen Notbehelf. Wenn es
mich hinaustrieb auf den Atlantischen Ozean, dann war mir der
Hungertod sicher, wenn nicht vorher schon die Wogen, die sich rings
um mich auftürmten und an mein Boot klatschten, mich verschlangen.
Ich war bereits ziemlich lange unterwegs
und ein brennender Durst quälte mich. Ich starrte zum Himmel, über
den in fliegender Hast Wolke auf Wolke dahineilte; ich starrte auf
die Wasserwüste, die über kurz oder lang mein Grab werden mußte.
»Nun bleibst du doch Sieger, du, mein Feind!« rief ich in die Öde
hinaus. Ich dachte an Elisabeth, an meinen Vater, an Clerval, die
ich schutzlos zurückließ und an denen der Dämon seinen

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