Franny Parker
keinen Unterschied. »Franny«, sagt sie, »die Familie ist alles, was du hast.« An der Wand ihres cremefarbenen Wohnzimmers hängen Bilder von Daddys Vorfahren in Oklahoma. Grandma hält uns die Bilder gerne und oft vor, besonders diejenigen mit den dürrbeinigen Bauernkindern, die wie Hopfenstangen rumstehen und die Hände hölzern vor sich gekreuzt haben. Respektvoll, behauptet Grandma uns gegenüber. Ich persönlich finde, dass die Kinder eher unglücklich aussehen. Aber ich schau mir meine Familie gerne an.
Nur einen Katzensprung entfernt von Grandmas Haus steht unser Hof, mit der schiefen Schaukel auf der Veranda, die nie länger unbenutzt ist als eineMinute, und mit Mamas Blumen, die durch das Buschwerk brechen, das die Veranda umsäumt. Völlig verwildert, wie Grandma Rae sagt. Hinterm Haus erstrecken sich Daddys Gemüsebeete über unseren abfallenden Garten bis hinunter zum Fluss und spätestens im August, wenn alles auf einen Schlag herauskommt, stehen dort Tomaten, Paprika und Kürbisse in Reih und Glied bis direkt ans Wasser. Im Herbst behalten wir die Kürbisrabatten scharf im Auge, damit uns keiner der großen Halloween-Kürbisse in den Fluss abhaut. Ist schon mal passiert. Über der Straße steht die rote Scheune mit meinem braunen Pony Snort und daneben der alte Getreidespeicher, von dem aus Daddy gerne Vögel beobachtet; schief neigt er sich den Feldern zu, als ob er auf die belebte Straße deutet, die von uns in die Berge führt. In den Feldern haben sich mein kleiner Bruder Ben und ich gerne verkrümelt, wenn es auch mit jedem Sommer immer schwieriger wurde, sich zu verkrümeln, je älter ich wurde.
Schließlich müsst ihr noch wissen, dass der Sommer ein Seelenzustand ist. Stellt euch vor, wie man aussehen könnte: ein klebriger Eiscreme-Schnurrbart, am Spätnachmittag ein Träumchen in der Hängematte, ein hauchdünnes Kleid, das sich um die Knie bauscht. Die Stimmung im Sommer ist ganz anders als in den anderen Jahreszeiten, und irgendwie werden alle davon angesteckt. Vielleicht liegt das an den dunstigen Nachmittagen, die nicht enden wollen, oder an derviel zu süßen Limonade oder an dem rundbäuchigen Mond, der besonders tief am Himmel hängt, kurzum, mir ist aufgefallen, dass Kinder und Erwachsene wie unter einem Zauberbann stehen, sobald der Sommer da ist. Gewöhnlich geht das im Juli los und man merkt unweigerlich, wann es einsetzt. Die Leute benehmen sich auf einmal ein bisschen verrückt: Gartenarbeiten in der heißen Sonne, Waten im Bach, Liebesgeflüster unter dunklen Fenstern. Mama nennt es das Sommerfieber. Und in diesem Jahr brach das Fieber an demselben Tag aus, als der blaue Lieferwagen in die Einfahrt des Nachbargrundstücks einbog, am ersten Freitag im Juli, hinter unserer Scheune.
Pläne
K eine Schildkröten am Tisch!«, kreischte Sidda.
»Aber er liebt dich! L-I-E-B-T liebt dich!«, kicherte Ben und ließ seine zahme Schildkröte George über Siddas Teller baumeln.
»Mom, sag ihm, er soll aufhören!«
Ich hielt mir die Ohren schon zu, ehe ich die Küche überhaupt betrat.
»Sieh mal einer an, was hat die Katze denn da reingeschleppt!«, begrüßte mich Daddy. Mit einem Augenzwinkern reichte er mir die letzte Scheibe Speck.
»So, Leute, wie sehen eure Pläne aus?«, fragte Mama. Sie zog einen Bleistift aus dem dichten Wust ihrer lockigen Haare.
»Ich geh ins Schwimmbad«, verkündete Sidda und machte ein Getue um das pinkfarbene Röckchen ihres neuen Badeanzugs. Obwohl meine Schwester gerade mal ein Jahr älter ist als ich, war sie bereits ein Teenager durch und durch.
»Tja, und ich geh in die Bank«, sagte Daddy und griff sich die Tageszeitung. »Nach einem kurzen Aufenthalt an der Flussbiege. Ich glaube, der Fischreiher hat ein Gelege im Nest.« Seine Augen leuchteten vorAufregung. Daddy war Darlehensberater an der Morton-Sparkasse, aber fast alle in der Stadt nannten ihn den Vogelmann. Ohne sein Fernglas verließ er nie das Haus.
Ben schielte misstrauisch auf sein Rührei. »Ist das von Reihereiern?«
»Quatsch«, erwiderte Mama mit einem Lächeln. »Das sind Dino-Eier.«
Ben riss die Augen auf. »Cool! T-Rex zum Frühstück.« Dann stellte er sich auf seinen Stuhl und begann runterzurasseln: Freunde und Schwimmunterricht und Erdnussbutterbrote und noch mal Freunde. Man konnte es quasi mit einem Wort zusammenfassen: Sommerlager.
»Puh!« Mama lachte und tat so, als würde sie sich vor Erschöpfung die Stirn wischen. »Du bist der meistbeschäftigte
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