Franny Parker
Waldrand stehen. Unten lag der Garten mit den Scheunenresten im blassen Mondschein, die Lichter aus unserem Haus schimmerten warm, in der Einfahrt parkte der gepackte blaue Lieferwagen. Wir standen da und sahen hinunter. Stimmen unserer Familienmitglieder waren bis hier oben zu hören.
Ich sah Lucas an.
»Bist du so weit?«, fragte er.
Ich nickte.
Gemeinsam öffneten wir die Schachtel und die Opossums krabbelten heraus und schnupperten misstrauisch die frische Luft ein. Ich strich noch ein letztes Mal über jedes der struppigen Fellchen. Sie brauchten eine Weile, doch dann beschlossen sie wohl, dass der Platz unverfänglich sei, und zogen allmählich in einer kleinen Opossumparade in den Wald.
»Schnell«, sagte Lucas. »Gib ihnen einen Wunsch mit auf den Weg.«
»Was denn?«
»Zum Beispiel gute Jahre?«
Tränen traten mir in die Augen und ich wischte sie stumm weg. Wie gut, dass es dunkel war und Lucas sie nicht sehen konnte. Aber er musste es gespürthaben, denn er nahm meine Hand und drückte sie fest und ließ sie den ganzen Heimweg über nicht los.
Am nächsten Morgen umarmten wir uns alle zum Abschied vor dem Lieferwagen. Es gab ein großes Durcheinander an ausgebreiteten Armen und gegenseitigem Drücken, von Lindy und Mama, Ben und Sidda und Daddy und schließlich von Lucas und mir.
Als ich ihm die zerfledderte Ausgabe von
Frühling des Lebens
hinhielt, lächelte Lucas. »Behalte es«, sagte er und drückte mir das Buch in die Hand.
»Du bist genau wie er.«
»Wie wer?«, sagte er und lachte. »Wie Jody oder wie Flag?«
Ich überlegte. Das verwaiste Rehkitz, ein so schönes Wesen, das eigentlich nie irgendwem gehörte, oder der erwachsen gewordene Junge, der sich in einer Welt zurechtfand, die härter und größer war als bisher. »Wie beide«, entschied ich. Und dann umarmten wir uns so fest, dass ich dachte, mein Brustkorb würde eingedrückt.
Nachdem sie weg waren, wischte sich Mama die Augen und Dad machte mit Ben einen Wettlauf zum Haus. Sidda tätschelte mich kurz, dann ging sie hinein. Ich war die Letzte in der Einfahrt und winkte am längsten und wünschte am heftigsten.
Aus der Staubwolke
G randma Rae dankt dem Herrn immer noch, dass keiner verletzt wurde in jener heißen Sommernacht. Zumindest nicht so verletzt, dass man es an der Oberfläche sehen konnte. Was das anging, so sagte Mama, dass wir es eine Weile mit uns herumtragen würden. Der Sommer, in dem sich alles änderte. Ich versuchte, mich zu erinnern, wie es gewesen war, wie sich das Sommerfieber wie eine Katze an uns herangeschlichen hatte, uns kokett mit dem Schwanz um die Beine gestrichen war und sich an unseren Kniekehlen gerieben und dann plötzlich die Krallen ordentlich ausgefahren hatte.
Das Erste, was ich in dem Jahr lernte, war, dass einen gute Absichten nur bis zu einem gewissen Punkt bringen können.
Die Notleidenden
waren nicht nur da draußen, sondern auch direkt in unserem Garten. Und es reichte eben nicht, einfach helfen zu wollen. Man konnte den lieben langen Tag Hilfe vor sich hertragen und versuchen, sie jemand in die Hand zu schieben. Aber die Hand musste sie auch wollen. Ich sage mir gerne, meine Absichten waren gut. Zu versprechen, ein Geheimnis zu bewahren, zu versuchen,einen Fehler ungeschehen zu machen. Der Sommer war vielleicht nicht so geworden, wie wir uns das vorgestellt hatten, aber außer den bösen Überraschungen hatte es auch gute gegeben. Wie die Schwalben, die im Frühjahr zu unserer Scheune zurückkehrten. Und wie Grandma Rae und das Tiertaxi. Seither hat sie zwar keine Schildkröte mehr auf dem Rücksitz ihrer Limousine befördert, aber ich weiß, dass sie es wieder tun würde.
Etwas anderes, das ich gelernt habe, ist, dass es alle möglichen Arten von Familien gibt. Und Familie, das sind nicht nur die Leute gleichen Blutes. Denkt mal an die Macht der Freundschaft. Es gibt lebenslange Freunde, die man für immer hat, und neue Freunde, die plötzlich in eurem Garten auftauchen. Wie bei der Familie hält auch ein guter Freund zu euch, zieht euch in ein Wohnzimmer voller Lachen oder aus den Flammen, die sich über euch durch die Decke fressen. Und wie in Familien gibt es Geheimnisse. Ich habe gelernt, dass es Geheimnisse gibt, die man nicht geheim halten darf. Aber es gibt andere, die man ganz leicht bewahren kann und die einfach kostbar sind. Wie der herumwirbelnde Kreis alter Freundinnen in einem kleinen Hain, ein Tanz, der den Regen herbeiruft. Freundschaft ist eine mächtige Kraft.
Und
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