Franz Sternbalds Wanderungen
rede.
»Zuweilen«, fuhr der Alte fort, »erregt mich auch die umgebende Natur, daß ich mich in der Kunst üben muß. Es ist mir aber bei allen meinen Versuchen niemals um die Natur zu tun, sondern ich suche den Charakter oder die Physiognomie herauszufühlen, und irgendeinen frommen Gedanken hineinzulegen, der das Bild dadurch in eine schöne Historie verwandelt.«
Er machte hierauf den jungen Maler auf eine Landschaft aufmerksam, die etwas abseits hing. Es war eine Nachtszene, Wald, Berg und Tal lag in fast unkenntlichen Massen durcheinander, schwarze Wolken tief vom Himmel herunter. Ein Pilgrim ging durch die Nacht, an seinem Stabe, an seinen Muscheln am Hute kennbar: um ihn zog sich das dichteste Dunkel, er selber nur von verstohlenen Mondstrahlen erschimmert; ein finsterer Hohlweg deutete sich an, oben auf einem Hügel von fernher glänzte ein Kruzifix, um das sich die Wolken teilten; ein Strahlenregen vom Monde ergoß sich, und spielte um das heilige Zeichen.
»Seht«, rief der Alte, »hier habe ich das zeitliche Leben, und die überirdische, himmlische Hoffnung malen wollen; seht den Fingerzeig, der uns aus dem finstern Tal herauf zur mondglänzenden Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter, als wandernde, verirrte Pilgrime? Kann etwas unsern Weg erhellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der uns belebt, der unsere Kräfte aufrechthält. Hier habe ich gesucht, die Natur wieder zu verwandeln, und das auf meine menschliche künstlerische Weise zu sagen, was die Natur selber zu uns redet; ich habe hier ein sanftes Rätsel niedergelegt, das sich nicht jedem entfesselt, das aber doch leichter zu erraten steht, als jenes erhabene, das die Natur als Bedeckung um sich schlägt.«
»Man könnte«, antwortete Franz, »dieses Gemälde ein allegorisches nennen.«
»Alle Kunst ist allegorisch«, sagte der Maler. »Was kann der Mensch darstellen, einzig und für sich bestehend, abgesondert und ewig geschieden von der übrigen Welt, wie wir die Gegenstände vor uns sehn? Die Kunst soll es auch nicht: wir fügen zusammen, wir suchen dem einzelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften, und so entsteht die Allegorie. Das Wort bezeichnet nichts anders als die wahrhafte Poesie, die das Hohe und Edle sucht, und es nur auf diesem Wege finden kann.«
Unter diesen Gesprächen war ein Hänfling unvermerkt aus seinem Käfige entwischt, denn der Alte hatte die Tür in der Zerstreuung offen gelassen. Er schrie erschreckend auf, als er seinen Verlust bemerkte, er suchte umher, er öffnete das Fenster, und lockte pfeifend und liebkosend den Flüchtigen, der nicht wiederkam. Er konnte sich auf keine Weise zufriedengeben, und hörte auf Sternbalds Worte nicht, der ihn zu trösten suchte.
Sternbald sagte, um ihn zu zerstreuen: »Ich glaube es einzusehn, wie Ihr über diese Landschaft denkt, und mir scheint, Ihr habt recht. Ich will nicht Bäume und Berge abschreiben, sondern mein Gemüt, meine Stimmung, die mich in dieser Stunde regiert, diese will ich mir selber festhalten, und den übrigen Verständigen mitteilen.«
»Ganz gut«, rief der Alte aus, »aber was kümmert mich das jetzt, da mein Hänfling auf und davon ist?«
»War er Euch denn so lieb?« fragte Franz.
Der Alte sagte verdrießlich: »So lieb, wie mir alles ist, was ich liebe; ich mache da eben nicht sonderliche Unterschiede. Ich denke an seinen schönen Gesang, an seine Freundschaft, die er mir immer bewies, warum ich mir auch diese Treulosigkeit um so weniger vermutete. Nun ist sein Gesang nicht mehr für mich, sondern er durchfliegt den Wald, und dieser einzelne, mir so bekannte Vogel vermischt sich mit den übrigen seines Geschlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn, und sehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, sondern halte ihn für eine ganz fremde Person. So haben mich schon so viele Freunde verlassen. Ein Freund, der stirbt, tut auch nichts weiter, als daß er sich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermischt, und mir unkenntlich wird. So sind sie auch in den Wald hineingeflogen, die ich sonst wohl kannte, so daß ich sie nun nicht wieder herausfinden kann. Wir sind Toren, wenn wir sie verloren wähnen, Kinder, die schreien und jammern, wenn die Eltern mit ihnen Versteckens spielen, denn das tun die Gestorbenen nur mit uns, der kurze Augenblick zwischen Jetzt und dem Wiederfinden ist nicht zu rechnen. Und daß ich das Gleichnis vollende: so ist Freundschaft auch wohl einem Käfige
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