Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
Vom Netzwerk:
nackten Boden, und nach einer Stunde stand Franz auf dem höheren Gipfel des Gebirges.
    Nun war es wieder wie ein Vorhang niedergefallen, seinen Blicken öffnete sich die Ebene von neuem, die kahlen Felsen unter ihm verloren sich lieblich in dem grünen Gemisch der Wälder und Wiesen, die unfreundliche Natur war verschwunden, sie war mit der lieblichen Aussicht eins, von dem übrigen verschönert diente sie selbst die andern Gegenstände zu verschönern. Da lag die Herrlichkeit der Ströme, der Berge, der Wälder vor ihm ausgebreitet, er glaubte vor dem plötzlichen Anblick der weiten, unendlichen, mannigfaltigen Natur zu vergehn, denn es war, als wenn sie mit herzdurchdringender Stimme zu ihm hinaufsprach, als wenn sie mit feurigen Augen vom Himmel und aus dem glänzenden Strom heraus nach ihm blickte, und mit ihren Riesengliedern nach ihm hindeutete. Franz streckte die Arme aus, als wenn er etwas Unsichtbares an sein ungeduldiges Herz drücken wollte, als möchte er nun erfassen und festhalten, wonach ihn die Sehnsucht so lange gedrängt. Die Wolken zogen unten am Horizont durch den blauen Himmel, die Widerscheine und die Schatten streckten sich auf den Wiesen aus und wechselten mit ihren Farben, fremde Wundertöne gingen den Berg hinab, und Franz fühlte sich wie ein Gebannter festgehalten, den die zaubernde Gewalt stehen heißt, und der sich dem unsichtbaren Kreise, trotz allen Bestrebens, nicht entreißen kann.
    »O unmächtige Kunst!« rief er aus und setzte sich auf eine grüne Felsenbank nieder: »wie lallend und kindisch sind deine Töne gegen den vollen harmonischen Orgelgesang, der aus den innersten Tiefen, aus Berg und Tal und Wald und Stromesglanz in schwellenden, steigenden Akkorden heraufquillt! Ich höre, ich vernehme, wie der ewige Weltgeist mit meisterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigsten Gebilde sich seinem Spiel erzeugen, und über die ganze Natur mit geistigen Flügeln ausbreiten. Die Begeisterung meines kleinen Menschenherzens will hineingreifen, und ringt sich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen, der die Natur leise lieblich regiert, und mein Händeringen nach ihm, mein Winken nach Hülfe in dieser Allmacht der Schönheit still belächelt. Die unsterbliche Melodie jauchzt, jubelt und stürmt über mich hinweg, zu Boden geworfen schwindelt mein Blick und starren meine Sinnen. O ihr Törichten! die ihr der Meinung seid, die allgewaltige Natur lasse sich verschönen, wenn ihr mit Kunstgriffen und kleinlicher Hinterlist eurer Ohnmacht zu Hülfe eilt! Was könnt ihr anders, als uns die Natur nur ahnden lassen, wenn uns die Natur die Ahndung der Gottheit gibt? Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Empfindung selbst, sichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch meine Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchste, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in tätiger Wirksamkeit, in Arbeit, sich selber aufzulösen und auszusprechen, ich fühle die Bewegung, das Rätsel im Begriff zu schwinden – und fühle meine Menschheit. – Die höchste Kunst kann sich nur selbst erklären, sie ist ein Gesang, deren Inhalt nur sie selbst zu sein vermag.«
    Ungern verließ Sternbald seine Begeisterung, und die Gegend, die ihn entzückt hatte, ja er trauerte über diese Worte, über diese Gedanken, die er ausgesprochen, daß er sie nicht immer in frischer Kraft aufbewahren könne, daß neue Eindrücke und neue Gedanken diese Empfindungen vertilgen oder überschütten würden.
    Ein dichter Wald empfing ihn auf der Höhe, er warf oft den Blick zurück und schied ungern, als wenn er das Leben verließe. Der einsame Schatten erregte ihm gegen die freie Landschaft eine beklemmende Empfindung. Als er kaum eine halbe Stunde gegangen war, stand er vor einer kleinen Hütte, die offen war, in der er aber niemand traf. Ermüdet warf er sich unter einen Baum, und betrachtete die beschränkte Wohnung, das dürftige Gerät, mit vieler Rührung eine alte Laute, die an der Wand hing, und auf der eine Saite fehlte. Paletten und Farben lagen und standen umher, so wie einige Kleidungsstücke; Sternbald war wie in die uralte Zeit versetzt, von der wir so gern erzählen hören, wo die Tür noch keinen Riegel kennt, wo noch kein Frevler des andern Gut betastet hat.
    Nach einiger Zeit kam der alte Maler zurück; er wunderte sich gar nicht, einen Fremdling vor seiner Schwelle anzutreffen, sondern ging in seine Hütte,

Weitere Kostenlose Bücher