Franz Sternbalds Wanderungen
Ludovico, ohne danach hinzuhören, schon in den Garten geklettert und gesprungen, er half Florestan nach, Roderigo rief den Rückbleibenden ebenfalls zu, Sternbald bequemte sich, und der Pilgrim, den auch nach dem Obste gelüstete, fand es bedenklich, ganz ohne Gesellschaft seine Reise fortzusetzen. Er machte nachher noch viele Einwendungen, auf die niemand hörte, denn Ludovico fing an aus allen Kräften die Bäume zu schütteln, die auch reichlich Obst hergaben, das die übrigen mit vieler Emsigkeit aufsammelten.
Dann setzten sie sich in der kühlen Grotte zum Essen nieder und Ludovico sagte: »Wenn uns nun auch jemand antrifft, was ist es denn mehr? Er müßte sehr ungesittet sein, wenn er auf unsre Bitte um Verzeihung nicht hören wollte, und sehr stark, wenn wir ihm nicht vereinigt widerstehen sollten.«
Als der Pilger eine Weile gegessen hatte, fing er an, große Reue zu fühlen, aber Florestan sagte im lustigen Mute: »Seht, Freunde, so leben wir im eigentlichen Stande der Unschuld, im goldenen Zeitalter, das wir so oft zurückwünschen, und das wir uns eigenmächtig, wenigstens auf einige Stunden erschaffen haben. O wahrlich, das freie Leben, das ein Räuber führt, der jeden Tag erobert, ist nicht so gänzlich zu verachten: wir verwöhnen uns in unsrer Sicherheit und Ruhe zu sehr. Was kann es geben, als höchstens einen kleinen Kampf? Wir sind gut bewaffnet, wir fürchten uns nicht, wir sind durch uns selbst gesichert.«
Sie horchten auf, es war, als wenn sie ganz in der Ferne Töne von Waldhörnern vernähmen, aber der Klang verstummte wieder. »Seid unverzagt«, rief Ludovico aus, »und tut, als wenn ihr hier zu Hause wäret, ich stehe euch für alles.«
Der Pilgrim mußte nach dem Springbrunnen, um seine Flasche mit Wasser zu füllen, sie tranken alle nach der Reihe mit großem Wohlbehagen. Der Abend ward immer kühler, die Blumen dufteten süßer, alle Erinnerungen wurden im Herzen geweckt. »Du weißt nicht, mein lieber Roderigo«, fing Ludovico von neuem an, »daß ich jetzt in Italien, in Rom wieder eine Liebe habe, die mir mehr ist, als mir je eine gewesen war. Ich verließ das schöne Land mit einem gewissen Widerstreben, ich sah mit unaussprechlicher Sehnsucht nach der Stadt zurück, weil Marie dort zurückblieb. Ich habe sie erst seit kurzem kennengelernt, und ich möchte dir fast vorschlagen, gleich mit mir zurückzureisen, dann blieben wir alle, so wie wir hier sind, in einer Gesellschaft. O Roderigo, du hast die Vollendung des Weibes noch nicht gesehn, denn du hast sie nicht gesehn! all der süße, geheime Zauber, der die Gestalt umschwebt, das Heilige, das dir aus blauen verklärten Augen entgegenblickt: die Unschuld, der lockende Mutwille, der sich auf Wange, in den liebreizenden Lippen abbildet; – ich kann es dir nicht schildern. In ihrer Gegenwart empfand ich die ersten Jugendgefühle wieder, es war mir wieder, als wenn ich mit dem ersten Mädchen spräche, da mir die andern alle als meinesgleichen vorkommen. Es ist ein Zug zwischen den glatten schönen Augenbraunen, der die Phantasie in Ehrfurcht hält, und doch stehn die Braunen, die langen Wimpern wie goldene Netze des Liebesgottes da, um alle Seele, alle Wünsche, alle fremde Augen wegzufangen. Hat man sie einmal gesehn, so sieht man keinem andern Mädchen mehr nach, kein Blick, kein verstohlenes Lächeln lockt dich mehr, sie wohnt mit aller ihrer Holdseligkeit in deiner Brust, dein Herz ist wie eine treibende Feder, die dich ihr, nur ihr durch alle Gassen, durch alle Gärten nachdrängt; und wenn dann ihr himmelsüßer Blick dich nur im Vorübergehn streift, so zittert die Seele in dir, so schwindelt dein Auge von dem Blick in das rote Lächeln der Lippen hinunter, in die Lieblichkeit der Wangen verirrt, gern und ungern auf dem schönsten Busen festgehalten, den du nur erraten darfst. O Himmel, gib mir nur dies Mädchen in meine Arme, und ich will deine ganze übrige Welt, mit allem, allem was sie Köstliches hat, ohne Neid jedem andern überlassen!«
»Du schwärmst«, sagte Roderigo, »in dieser Sprache habe ich dich noch niemals sprechen hören.«
»Ich habe die Sprache noch nicht gekannt«, fuhr Ludovico fort, »ich habe noch nichts gekannt, ich bin bis dahin taub und blind gewesen. Was fehlt uns hier, als daß Rudolph nur noch ein Lied sänge? Eins von jenen leichten, scherzenden Liedern, die die Erde nicht berühren, die mit luftigem Schritt über den goldenen Fußboden des Abendrots gehn, und von dort in die Welt
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