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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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übrigen wiederholte; als er geendigt hatte, stieg der mutwillige Ludovico auf einen Baum, und sang von oben in den Tönen einer Wachtel, eines Kuckucks und einer Nachtigall herunter. »Nun haben wir alle unsre Pflicht getan«, sagte er, »jetzt haben wir es wohl verdient, daß wir uns ausruhen dürfen, wobei uns der junge Florestan mit einem Liede erquicken soll.«
    Sie setzten sich auf den Rasen nieder, und Florestan fragte: »Welcher Inhalt soll denn in meinem Liede sein?«
    »Welcher du willst«, antwortete Ludovico, »wenn es dir recht ist, gar keiner; wir sind mit allem zufrieden, wenn es dir nur gemütlich ist, warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen?«

Rudolph sang:
    »Durch den Himmel zieht der Vögel Zug,
Sie sind auf Wanderschaft begriffen,
Da hört man gezwitschert und gepfiffen
Von Groß und Klein der Melodien genug.
        Der Kleine singt mit feiner Stimm,
Der Große krächzt gleich wie im Grimm
Und einge stottern, andre schnarren,
Und Drossel, Gimpel, Schwalbe, Staren,
        Sie wissen alle nicht, was sie meinen,
Sie wissen's wohl und sagen's nicht,
Und wenn sie auch zu reden scheinen,
Ist ihr Gerede nicht von Gewicht.
        – ›Holla! warum seid ihr auf der Reise?‹ –
›Das ist nun einmal unsre Weise.‹
– ›Warum bleibt ihr nicht zu jeglicher Stund?‹ –
›Die Erd ist allenthalben rund.‹
        Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht,
Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen,
Dort sind die Vöglein aufgehangen,
An keine Rückfahrt mehr gedacht.
        – ›Ist das die Art mit uns zu sprechen?
Uns armen Vögeln den Hals zu brechen?‹
– ›Verständlich ist doch diese Sprache‹,
So ruft der Mensch, ›sie dient zur Sache,
In allen Natur die Sprache regiert,
Daß eins mit dem andern Kriege führt,
Man dann am besten räsoniert und beweist,
Wenn eins vom andern wird aufgespeist:
Die Ströme sind im Meere verschlungen,
Vom Schicksal wieder der Mensch bezwungen,
Den tapfersten Magen hat die Zeit,
Ihr nimmermehr ein Essen gereut,
Doch wie von der Zeit eine alte Fabel besagt
Macht auf sie das Jüngste Gericht einst Jagd.
Ein' andre Speise gibt's nachher nicht,
Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.‹«
    Rudolph sang diese tollen Verse mit so lächerlichen Bewegungen, daß sich keiner des Lachens enthalten konnte. Als der Pilgrim wieder ernsthaft war, sagte er sehr feierlich: »Verzeiht mir, man wird unter euch wie ein Trunkener, wenn ihr mich noch lange begleitet, so wird aus meiner Pilgerschaft gleichsam eine Narrenreise.«
    Man verzehrte auf der Wiese ein Mittagsmahl, das sie mitgenommen hatten, und Ludovico wurde nicht müde, sich bei Roderigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundigen. Roderigo verschwieg, ob aus einer Art von Scham, oder weil er vor den beiden die Erzählung nicht wiederholen mochte, seine eigne Geschichte. Er kam durch einen Zufall auf Luthern und die Reformation zu sprechen.
    »Oh, schweig mir davon«, rief Ludovico aus, »denn es ist mir ein Verdruß zu hören. Jedweder, der sich für klug hält, nimmt in unsern Tagen die Partei dieses Mannes, der es gewiß gut und redlich meint, der aber doch immer mit seinen Ideen nicht recht weiß, wo er hinaus will.«
    »Ihr erstaunt mich!« sagte Franz.
    »Ihr seid ein Deutscher«, fuhr Ludovico fort, »ein Nürnberger, es nimmt mich nicht wunder, wenn Ihr Euch der guten Sache annehmt, wie sie Euch wohl erscheinen muß. Ich glaube auch, daß Luther einen wahrhaft großen Geist hat, aber ich bin ihm darum doch nicht gewogen. Es ist schlimm, daß die Menschen nichts einreißen können, nicht die Wand eines Hofs, ohne gleich darauf Lust zu kriegen, ein neues Gebäude aufzuführen. Wir haben eingesehn, daß Irren möglich sei, nun irren wir lieber noch jenseits, als in der geraden lieblichen Straße zu bleiben. Ich sehe schon im voraus die Zeit kommen, die die gegenwärtige Zeit fast notwendig hervorbringen muß, wo ein Mann sich schon für ein Wunder seines Jahrhunderts hält, wenn er eigentlich nichts ist. Ihr fangt an zu untersuchen, wo nichts zu untersuchen ist, ihr tastet die Göttlichkeit unsrer Religion an, die wie ein wunderbares Gedicht vor uns daliegt, und nun einmal keinem andern verständlich ist, als der sie versteht: hier wollt ihr ergrübeln und widerlegen, und könnt mit allem Trachten nicht weiter vorwärts dringen, als es dem Blödsinne auch gelingen würde, da im Gegenteil die höhere Vernunft sich in der Untersuchung wie in Netzen würde gefangen fühlen, und lieber die edle Poesie

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