Franz Sternbalds Wanderungen
gewissermaßen das ganze Gemälde vernichteten, aber die Äbtissin antwortete: »Dies alles ist mir sehr gleich, aber eine geistliche, bewegliche Historie muß durchaus nicht auf eine ganz weltliche Art ausgedrückt werden, Reiz, und was ihr Maler Schönheit nennt, gehört gar nicht in ein Bild, das zur Erbauung dienen und heilige Gedanken erwecken soll. Mir ist hier das Steife, Altfränkische viel erwünschter, dies schon trägt zu einer gewissen Erhebung bei. Die Worte sind aber eigentlich die Erklärung des Gemäldes, und diese gottseligen Betrachtungen könnt Ihr nimmermehr durch den Ausdruck der Mienen ersetzen. An der sogenannten Wahrheit und Täuschung liegt mir sehr wenig: wenn ich mich einmal davon überzeugen kann, daß ich hier in der Kirche diese Wildnis mit Tieren und Felsen antreffe, so ist es mir ein kleines, auch anzunehmen, daß diese Tiere sprechen, und daß ihre Worte hingeschrieben sind, wie sie selbst nur gemalt sind. Es entsteht dadurch etwas Geheimnisvolles, wovon ich nicht gut sagen kann, worin es liegt. Die übertriebenen Mienen und Gebärden aber sind mir zuwider. Wenn die Maler immer bei dieser alten Methode bleiben, so werden sie sich auch stets in den Schranken der guten Sitten halten, denn dieser Ausdruck mit Worten führt gleichsam eine Aufsicht über ihr Werk. Ein Gemälde ist und bleibt eine gutgemeinte Spielerei, und darum muß man sie auch niemals zu ernsthaft treiben.«
Franz ging betrübt hinweg, er wollte am folgenden Morgen anfangen. Das Gerüst wurde eingerichtet, die Farben waren zubereitet; als er in der Kirche oben allein stand, und in die trüben Gitter hineinsah, fühlte er sich unbeschreiblich einsam, er lächelte über sich selber, daß er den Pinsel in der Hand führe. Er fühlte, daß er nur als Handwerker gedungen sei, etwas zu machen, wobei ihm seine Kunstliebe, ja sein Talent völlig überflüssig war. »Was ist bis jetzt von mir geschehen?« sagte er zu sich selber, »in Antwerpen habe ich einige Konterfeie ohne sonderliche Liebe gemacht, die Gräfin und Roderigo nachher gemalt, weil sie in ihn verliebt war, und nun stehe ich hier, um Denksprüche, schlecht geworfene Gewänder, Hirsche und Wölfe neu anzustreichen.«
Indem hatten sich die Nonnen zur Hora versammelt, und ihr feiner, wohlklingender Gesang schwung sich wundersam hinüber, die erloschene Genoveva schien darnach hinzuhören, die gemalten Kirchenfenster ertönten. Eine neue Lust erwachte in Franz, er nahm Palette und Pinsel mit frischem Mut und färbte Genovevens dunkles Gewand. »Warum sollte ein Maler«, sagte er zu sich, »nicht allenthalben, auch am unwürdigen Orte, Spuren seines Daseins lassen? Er kann allenthalben ein Monument seiner schönen Existenz schaffen, vielleicht daß doch ein seltener zarter Geist ergriffen und gerührt wird, ihm dankt, und aus den Trübseligkeiten sich eine schöne Stunde hervorsucht.« Er nahm sich nämlich vor, in dem Gesichte der Genoveva das Bildnis seiner teuren Unbekannten abzuschildern, so viel es ihm möglich war. Die Figuren wurden ihm durch diesen Gedanken teurer, die Arbeit lieber.
Er suchte in seiner Wohnung das Bildnis hervor, das ihm der alte Maler gegeben hatte, er sah es an, und Emma stand unwillkürlich vor seinen Augen. Sein Gemüt war wunderbar beängstigt, er wußte nicht, wofür er sich entscheiden solle. Dieser Liebreiz, diese Heiterkeit seiner Phantasie bei Emmas Angedenken, die lüsternen Bilder und Erinnerungen, die sich ihm offenbarten, und dann das Zauberlicht, das ihm aus dem Bildnisse des teuren Angesichts aus herrlicher Ferne entgegenleuchtete, die Gesänge von Engeln, die ihn dorthin riefen, die schuldlose Kindheit, die wehmütige Sehnsucht, das Goldenste, Fernste und Schönste, was er erwünschen und erlangen konnte, daneben Sebastians Freude und Erstaunen, dazwischen das Grab.
Die Verworrenheit aller dieser Vorstellungen bemächtigte sich seiner so sehr, daß er zu weinen anfing, und keinen Gedanken erhaschte, der ihn trösten konnte. Ihm war, als wenn seine innerste Seele in den brennenden Tränen sich aus seinen Augen hinausweinte, als wenn er nachher nichts wünschen und hoffen dürfte, und nur ungewisse, irrende Reue ihn verfolgen könne. Seine Kunst, sein Streben, ein edler Künstler zu werden, sein Wirken und Werden auf der Erde erschien ihm als etwas Armseliges, Kaltes und jämmerlich Dürftiges. In Dämmerung gingen die Gestalten der großen Meister an ihm vorüber, er mochte nach keinem mehr die Arme ausstrecken; alles war
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