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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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schon vorüber und geendigt, wovon er noch erst den Anfang erwartete.
    Er schweifte durch die Stadt, und die bunten Häuser, die Brücken, die Kirchen mit ihrer künstlichen Steinarbeit, nichts reizte ihn, es genau zu betrachten, es sich einzuprägen, wie er sonst so gern tat, in jedem Werke schaute ihn Vergänglichkeit und zweckloses Spiel mit trüben Augen, mit spöttischer Miene an. Die Mühseligkeit des Handwerkers, die Emsigkeit des Kaufmanns, das trostlose Leben des Bettlers daneben schien ihm nun nicht mehr, wie immer, durch große Klüfte getrennt: sie waren Figuren und Verzierungen von einem großen Gemälde, Wald, Bergstrom, Gebirge, Sonnenaufgang waren Anhang zur trüben, dunkeln Historie, die Dichtkunst, die Musik machten die Worte und Denksprüche, die mit ungeschickter Hand hineingeschrieben wurden. »Jetzt weiß ich«, rief er im Unmute aus, »wie dir zumute ist, mein vielgeliebter Sebastian, erst jetzt lese ich aus mir selber deinen Brief, erst jetzt entsetze ich mich darüber, daß du recht hast. So kann keiner dem andern sagen und sprechen, was er denkt; wenn wir selbst wie tote Instrumente, die sich nicht beherrschen können, so angeschlagen werden, daß wir dieselben Töne angeben, dann glauben wir den andern zu vernehmen.«

Die Melodie des Liedes von der Einsamkeit kam ihm ins Gedächtnis, er konnte es nicht unterlassen, das Gedicht leise vor sich hinzusingen, wobei er immer durch die Straßen lief, und sich endlich in das Getümmel des Marktes verlor.
    Er stand im Gedränge still, und ihm fiel bei, daß vielleicht keiner von den hier bewegten unzähligen Menschen seine Gedanken und seine Empfindungen kenne, daß er schon oft selbst ohne Arg herumgewandert sei, daß er auch vielleicht in wenigen Tagen alles vergessen habe, was ihn jetzt erschüttre, und er sich dann wohl wieder klüger und besser als jetzt vorkomme. Wenn er so in sein bewegtes Gemüt sah, so war es, als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabschaute, wo Woge Woge drängt und schäumt, und man doch keine Welle sondern kann, wo alle Fluten sich verwirren und trennen, und immer wieder durcheinanderwirbeln, ohne Stillstand, ohne Ruhe, wo dieselbe Melodie sich immer wiederholt, und doch immer neue Abwechselung ertönt: kein Stillstand, keine Bewegung, ein rauschendes, tosendes Rätsel, eine endlose, endlose Wut des erzürnten, stürzenden Elements.
    Käufer und Verkäufer schrien und lärmten durcheinander, Fremde, die sich zurechtfragten, Wagen, die sich gewaltsam Platz machten. Alle Arten von Eßwaren umher gelagert, Kinder und Greise im Gewühl, alle Stimmen und Zungen zum verwirrten Unisono vereinigt. Nach der andern Seite drängte sich das Volk voll Neugier, und Franz ward von dem ungestümen Strome mit ergriffen und fortgezogen, er bemerkte es kaum, daß er von der Stelle kam.
    Als er näher stand, hörte er durch das Geräusch der Stimmen, durch die öftere Unterbrechung, Fragen, Antworten und Verwunderung folgendes Lied singen:
»Wie über Matten
    Die Wolke zieht,
So auch der Schatten
    Vom Leben flieht.
    Die Jahre eilen
    Kein Stillestand,
Und kein Verweilen,
    Sie hält kein Band.
    Nur Freude kettet
    Das Leben hier,
Der Frohe rettet
    Die Zeiten schier.
    Ihm sind die Stunden
    Was Jahre sind,
Sind nicht verschwunden
    Wer so gesinnt.
    Ihm sind die Küsse
    Der goldne Wein
Noch mal so süße
    Im Sonnenschein.
    Ihm naht kein Schatten
    Vergänglichkeit,
Für ihn begatten
    Sich Freud und Zeit.
    Drum nehmt die Freude
    Und sperrt sie ein,
Dann müßt ihr beide
    Unsterblich sein.«
    Es war ein Mädchen, die dieses Lied absang, indem kam Franz durch eine unvermutete Wendung dicht an die Sängerin zu stehn, das Gedränge preßte ihn an sie, und indem er sie genau betrachtete, glaubte er Ludovico zu erkennen. Jetzt hatte ihn der Strom von Menschen wieder entfernt, und er konnte daher seiner Sache nicht gewiß sein, ein Leierkasten fiel ihm mit seinen schwerfälligen Tönen in die Ohren, und eine andre Stimme sang:
    »Aus Wolken kommt die frohe Stunde,
O Mensch gesunde,
Laß Leiden sein und Bangigkeit
Wenn Liebchens Kuß dein Herz erfreut.
        In Küssen webt ein Zaubersegen,
Drum sei verwegen,
Was schadet's, wenn der Donner rollt,
Wenn nur der rote Mund nicht schmollt.«
    Franz war erstaunt, denn er glaubte in diesem begleitenden Sänger Florestan zu erkennen. Er war wie ein alter Mann gestaltet, und verstellte, wie Sternbald glaubte, auch seine Stimme;

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