Franz Sternbalds Wanderungen
Anblick erschüttert und redete ihn so an: ›Liebster, warum willst du mich so bekümmern, daß du mir kein Wort von deinem Leiden anvertraust? Ich sehe es täglich, wie dein Leben sich aufzehrt, und unwissend muß ich mit dir leiden, ohne daß ich raten und trösten könnte. Warum nennst du mich deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn du mich nicht deines Vertrauens würdig achtest. Jetzt gilt es, daß ich deine Liebe zu mir auf die Probe stelle, und was fürchtest du, dich mir zu entdecken? Wenn du unglücklich bist, wo findest du sichern Trost, als im Busen eines Freundes? Bist du dich einer Schuld bewußt, wer verzeiht dir williger, als die Liebe?‹
Ferdinand sah ihn eine Weile an, dann sagte er: ›Keines von beiden, mein lieber Freund, ist bei mir der Fall; sondern eine wunderseltsame Sache belastet mein Herz so gewaltsam, die ich dir noch nicht habe anvertrauen wollen, weil ich mich vor dir schäme. Ich fürchte deine Vernunft, ich fürchte, daß du mir das sagst, was ich mir selber täglich und stündlich sage; ich fürchte, daß du zwar deinen Freund, aber nicht seine unbegreifliche Torheit liebst. Doch will ich dir alles gestehen, und nun erfahren, welchen Rat, welchen Trost du mir geben kannst. Sieh dieses Gemälde, das ich vor einigen Wochen fand, und das seitdem meinen Sinn so gänzlich umgewandelt hat. Mit ihm habe ich mein höchstes Glück, ja mich selber gefunden, denn ich lebte vorher ohne Seele, ich kannte mich und die Seligkeit der Welt nicht, denn ich wurde ohne alles Glück in der Welt fertig. Seitdem ist mir, als wenn ein unbekanntes Wesen mir aus den Morgenwolken die Hand gereicht, und mich mit süßer Stimme bei meinem Namen genannt hätte. Aber zugleich habe ich in diesem Bilde meinen größten Feind gefunden, der mir keine Minute Ruhe läßt, der mich auf jeden Schritt verfolgt, der mir alle übrigen Freuden dieser Erde als etwas Armseliges und Verächtliches darstellt. Ich darf mein Auge nicht davon hinwegwenden, so befällt mich eine marternde Sehnsucht, und wenn ich nun daraufblicke, und diesen süßen Mund, und diese schönen Augen antreffe, so ergreift eine schreckliche Beklemmung mein Herz, so daß ich in unnützen Kämpfen, in Streben und Wünschen vergehe, und mein Leben sich verzehrt, wie du richtig gesagt hast. Aber es muß sich nun endigen; mit dem kommenden Morgen will ich mich aufmachen und das Land durchziehen, um diejenige wirklich aufzufinden, von der ich bis jetzt nur den Schatten besitze. Sie muß irgendwo sein, sie muß meine Liebe kennenlernen, und ich sterbe dann entweder in öder Einsamkeit, oder sie erwidert diese Liebe.‹
Leopold stand lange staunend und betrachtete seinen Freund, endlich rief er aus: ›Unglücklicher! Wohin hast du dich verirrt? An diesen Schmerzen hat sich vielleicht bisher noch keiner der Sterblichen verblutet. Was soll ich dir sagen? Wie soll ich dir raten? Der Wahnsinn hat sich deiner schon bemeistert und alle Hülfe kömmt zu spät. Wenn nun das Original dieses Bildes auf der ganzen Erde nicht zu finden ist! und wie leicht kann es bloß die Imagination eines Malers sein, die dieses zierliche Köpfchen hervorgebracht hat! Oder sie kann auch gelebt haben, und ist nun schon gestorben, oder sie ist die Gattin eines andern, und Mutter vieler Kinder und Enkel, so daß du sie, vom Alter entstellt, nicht einmal kennst, wenn du sie auch wirklich finden solltest. Glaubst du, daß sich dir zu Gefallen das Wunder des Pygmalion erneuern werde? Ist es nicht ebenso gut, als wenn du die Helena von Griechenland, oder die ägyptische Kleopatra lieben wolltest? Bedenke dein Wohl, und laß dich nicht von einer Leidenschaft unterjochen, die offenbar aberwitzig ist. Deine Empfindung ist so widersinnig, daß hier oder nirgend deine Vernunft auftreten und dich aus dem Labyrinthe erretten muß, und mich wundert nur, wie du sie schon so hast unterdrücken können, daß es so weit mit dir gekommen ist.‹«
»Nun, der Mann hat doch wahrlich völlig recht«, rief Vansen aus, »und ich bin neugierig, was der verliebte Schwärmer wohl darauf wird antworten können.«
»Gewiß gar nichts«, sagte Herr Peters, »er wird einsehen, wie gut es sein Freund mit ihm meint, und das wunderliche Abenteuer fahrenlassen.«
»Einiges getraute ich mir wohl zu sagen«, versetzte Sternbald, »wenn ich nicht die Geschichte zu unterbrechen fürchtete.«
Rudolph sah ihn lächelnd an, und fuhr fort: »Ferdinand schwieg eine Weile still, dann sagte er: ›Liebster Freund, deine Worte
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