Franz Sternbalds Wanderungen
man nur wie eine schätzbare Maschine behandelt, die die Kunstwerke hervorgibt, die wir lieben, den Urheber selbst aber vernachlässigen: es ist ein gemeiner, verdammlicher Eigennutz.‹
Ich schalt meine Scham, die mich an dem Tage fast zweimal grausam gemacht hatte; noch vor Sonnenuntergang ging ich nach dem Walde hinaus. Als ich vor dem Hause stand, hörte ich den Alten drinnen musizieren; es war eine wehmütige Melodie, die er spielte, er sang dazu:
›Von aller Welt verlassen
Bist du, Maria, nah,
Wenn Mensch und Welt mich hassen
Stehst du mir freundlich da,
So bin ich nicht verlassen
Wenn ich dein Auge sah.‹
Mein Herz klopfte, ich riß die Tür auf, und fand ihn vor seinem Gemälde sitzen. Ich fiel ihm weinend um den Hals, und er wußte erst nicht, was er aus mir machen sollte. ›Mein steinernes Herz‹, rief ich aus, ›hat sich erweicht, verzeiht mir das Unrecht, das ich Euch heut morgen tat.‹
Ich gab ihm für sein Bild weit mehr, als er gefordert, als er erwartet hatte, er dankte mir mit wenigen Worten. ›Ihr seid‹, fuhr ich fort, › mein Wohltäter, nicht ich der Eurige, ich gebe, was Ihr von jedem erhalten könnt, Ihr schenkt mir die kostbarsten, innersten Schätze Eures Herzens.‹
Der Maler sagte: ›Wenn Ihr das Bild abholen laßt, so erlaubt mir nur, daß ich manchmal, wenn es Euch nicht stört, oder Ihr nicht zu Hause seid, in Eure Wohnung kommen darf, um es zu betrachten. Eine unbezwingbare Wehmut nagt an meinem Herzen, alle meine Kräfte erliegen, und das Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hände erschaffen haben. Dazu so trägt die Muttergottes die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst, mein herzlichster Fleiß ist in diesem Gemälde aufbewahrt.‹
Ich umarmte ihn wieder: wie herzensarm, wie verlassen, wie gekränkt und einsam schien mir nun derselbe Mann, den ich am Morgen noch glaubte beneiden zu können! – Er wurde von diesem Tage mein Freund, wir ergötzten uns oft, indem wir vor seinem Bilde Hand in Hand saßen.
Aber er hatte recht. Nach einem halben Jahre war er gestorben, er hatte mancherlei angefangen, aber nichts vollendet. Seine übrigen Arbeiten wurden in einer Versteigerung ausgeboten, ich habe vieles an mich gehandelt.
Mitleidige Menschen nahmen die Kinder zu sich: auch ich unterstütze sie. Ein Tägelöhner wohnt mit seiner Familie nun in der Hütte, wo sonst die Kunst einheimisch war, wo sonst freundliche Gesichter von der Leinwand blickten. Oft gehe ich vorüber und höre einzelne Reden der Einwohner, oft seh ich auch den alten Hirten noch. – Niemals kann ich an diesen Vorfall ohne heftige Rührung denken.« –
Sternbald weinte und Vansen sagte: »Ja wohl ist dergleichen zu bejammern, und ich habe immer gern Künstlern geholfen und von ihnen arbeiten lassen; was der Frühling der Welt, ist die Kunst dem übrigen Menschenleben.«
»Neben jenem Punkte«, sagte der Alte, »den die Erzählung, mag sie nun offen da sein, oder nicht, erörtern soll, lehrt sie auch, wie selbstsüchtig diese scheinbar zartesten Gefühle den Menschen machen können, und so könnte ich, wenn ich streiten wollte, sie als eine Bestätigung meiner natürlichen Behauptungen ansehn, da sie doch gegen diese hauptsächlich zu kämpfen scheint. So ist das meiste im Leben doppelt und vielfach, und es ist gut, sich zu gewöhnen, die Dinge von verschiedenen, oft entgegengesetzten Seiten anzusehn.«
Als sich nach dem heitern Abendessen die übrigen Gäste entfernten, blieb Sternbald zurück und folgte dem Vansen auf dessen Wink in ein abgelegenes Zimmer. »Lange schon«, fing der Alte an, »habe ich über eine Sache mit Euch sprechen wollen, aber noch immer nicht die gelegene Zeit dazu treffen können.«
Sie setzten sich und Vansen fuhr in einem vertraulichen Tone fort: »Je mehr ich Euch kennenlerne, lieber Sternbald, je mehr muß ich Euch hochschätzen, denn die jugendliche Schwärmerei, die Euch zuzeiten mit sich fortreißt, wird sich gewiß mit den Jahren verlieren. Seht, das ist das einzige, was ich allenfalls gegen Euch hätte, aber sonst lieb ich Euch so sehr, wie ich bis jetzt noch keinen Menschen wertgehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunst, die ich von Jugend auf vorzüglich verehrt habe. Ich will Euch näherkommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das sonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt, seit Ihr in unserm Hause bekannt geworden seid; meine
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