Franz Sternbalds Wanderungen
blaß und gleichsam blöde auf die warme, dampfende Erde hernieder, die das erste neue Gras aus ihrem Schoße gebar. Sternbald erinnerte sich der Zeit, als er zuerst seine Pflegeeltern verließ, um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in solchem Wetter hatte er sein friedliches Dorf verlassen. Er gedachte der kindischen Verwunderung, mit der er von Hügeln und Waldhöhen die schäumenden, Schnee wälzenden Bäche im Glanze der ersten Wärme hatte rollen sehn, welch wundersamer Duft, wie Lebenshauch, ihm aus der locker gewordenen Erde aufgestiegen, und wie im ernsten Braun hie und da die grünen Streifen ihn wie ein Lächeln angesehn, und ihm schon vom Sommer und seinem Obst erzählt hatten: wie nach der Wanderung vieler Tage sich endlich dieses Märchen durch das Wunder der großen Stadt im brennenden Abendgolde, und beim Schein des Lichtes mit Dürers edlem Antlitz beschlossen habe. Sie gingen, indem Rudolph fröhliche Geschichten erzählte, durch die schöne Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch sahen sie den erhabenen Münster; in der nächsten Stadt wollten sie einen Mann erwarten, der auf der Rückreise von Italien begriffen war.
In Straßburg hatte Franz seinem Sebastian folgenden Brief geschrieben:
Jetzt, lieber Sebastian, ist mir sehr wohl, und Du wirst Dich darüber freuen. Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe, die Gegenwart und Vergangenheit mit gleicher Liebe, und alle Empfindung trage ich sorglich zu meiner Kunst hinüber. Warum quäle ich mich ab, da ich mich doch am Ende überzeugen muß, daß jeder nur das leisten wird, was er leisten kann? Wie kurz ist das Leben; und warum wollen wir es mit unsern Beängstigungen noch mehr verkürzen? Jeder Künstlergeist muß sich ohne Druck und äußern Zwang, wie ein edler Baum mit seinen mancherlei Zweigen und Ästen ausbreiten; er strebt von selbst durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und so erzeugt sich die erhabene oder sinnige Pflanze, sei es Eiche, Buche oder Zypresse, Myrte oder Rosengesträuch, je nachdem der Keim beschaffen war, aus dem sie zuerst in die Höhe sproßte. So musiziert jedes Vögelein seine eigentümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch jezuweilen einer dem andern nach- und zuvortun; aber sie verfehlen doch nie so sehr ihren Weg, wie es dem Menschen nur gar zu oft geschieht.
So will ich mich denn der Zeit und mir selber überlassen. Mein Freund Rudolph lacht täglich über meine unschlüssige Ängstlichkeit, die sich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne spiegeln sich alle Empfindungen, und lassen nachher eine Spur zurück, und selbst das, was das Gemüt nicht aufbewahrt, nährt heimlicherweise den Sinn der Kunst und ist nicht verloren. Das tröstet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich sonst nur gar zu oft überwältigten.
Auf eine magische Weise, (zauberisch oder himmlisch, denn ich weiß nicht, wie ich es nennen soll) ist meine Phantasie mit dem Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir schon so oft gesprochen habe. Es ist wunderbar. Die Gestalt, die Blicke, der Zug des Mundes, alles steht deutlich vor mir, und doch wieder nicht deutlich, denn es dämmert dann wie eine ungewisse, vorüberschwebende Erscheinung vor meiner Seele, daß ich es festhalten möchte, und Sinnen und Erinnerung brünstig ausstrecke, um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu meinem Eigentum zu machen. So ist es mir oft seitdem ergangen, wenn ich die Schönheit einer Landschaft so recht innigst empfinden wollte, oder die Größe eines Gedankens mir festhalten, oder eine wundersame Empfindung oder Blicke in das Überirdisch-Schöne, oder den Glauben an Gott. Es kömmt und geht; bald Dämmerung, bald Mondschein, nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht. Der Geist ist in Arbeit, im rastlosen Streben, sich aus den Ketten aufzurichten, die ihn im Körper zu Boden halten.
Oh, mein Sebastian! wie wohl ist mir, und wie lieblich fühl ich in mir die Regung der Lebenskraft und die heitre Jugend! Es ist herrlich, was mir die Rheinufer, die Berge um Bonn, und die wunderbaren Krümmungen des Gewässers verkündigt haben. Von dem großen Münster in Straßburg, von Köln und seinen Herrlichkeiten will ich Dir ein andermal reden, ich bin zu voll davon.
In Straßburg habe ich für einen reichen Mann eine Heilige Familie gemalt. Es war das erstemal, daß ich meinen Kräften in allen Stunden vertraute, und mich begeistert, und doch ruhig fühlte. In der Muttergottes habe ich gesucht die Gestalt hinzuzeichnen, die mein Inneres
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