Franz Sternbalds Wanderungen
erleuchtet, die geistige Flamme, bei der ich mich selber sehe und alles, was in mir ist, und durch die alles vom lieblichsten Widerscheine verschönt und strahlend lebt. Es war beim Malen derselbe Kampf zwischen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber ist es mir vielleicht nur gelungen. Die Gestalten, die wir wahrhaft anschauen, sind eben dadurch in uns schon zu irdisch und wirklich, sie tragen zu viele Merkmale an sich, und vergegenwärtigen sich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegenteil aufs Erfinden aus, so bleiben die Gebilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen sich nicht aus ihrer ungewissen Ferne heraus. Aus dem Mittel zwischen beiden habe ich wie etwas Übermenschliches gesucht, und eine Gestalt hervorgebracht, die mich zauberisch von der Tafel anblickte. Sollte die Kunst vielleicht immer so verfahren, um Überirdisch-Unsichtbares sichtbar zu machen? Und, sonderbarer Gedanke, kann ich vielleicht nur dichtend malen, bis ich sie wiederfinde? und dann sollte wohl in ihrer Gegenwart mein Talent erlöschen, weil mein Geist sie nicht mehr zu suchen brauchte? Nein, ich will es nicht glauben, festen Mutes will ich in das Gebiet der Kunst vorrücken; ich fühle es ja, wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt ist, es ist also mein Gebiet, mein Eigentum, ich darf darin schalten und mich einheimisch fühlen.
Wirf mir nicht Stolz vor, Sebastian; denn Du tätest mir Unrecht. Ich bin und bleibe, wie ich war. Der Himmel schenke Dir Gesundheit. –
Nach einigen Tagen waren die Wälder, Felder und Berge grün geworden, und die Obstbäume blühten, der Himmel war heiter und blau, sanfte Frühlingslüfte spielten zum erstenmal durch den Sonnenschein und über die fröhliche Natur hin. Sternbald und Rudolph waren entzückt, als sie von einem Hügel hinab in die überschwengliche Pracht hineinschauten. Das Herz ward ihnen groß, und sie fühlten sich beide neugeboren, von Himmel und Erde mit Liebe magnetisch angezogen.
»Oh, mein Freund!« rief Sternbald aus, »wie liebreizend hat sich der Frühling so plötzlich aufgeschlossen! Wie ein melodischer Gesang, wie angeschlagene Harfensaiten sind diese Blüten, diese Blätter herausgequollen, und strecken sich nun der liebkosenden, warmen Luft entgegen. Der Winter ist fort, wie eine Verfinsterung, die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben. Sieh, alles keimt und sproßt und blüht, die kleinsten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen sich hinzu; alle Vögel singen und jauchzen und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld ist die ganze Schöpfung in Bewegung, und wir sitzen hier als Kinder, und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächsten.«
Rudolph nahm seine Flöte und blies ein lustiges Lied. Es schallte fröhlich den Berg hinunter, und Lämmer im Tal fingen an zu tanzen.
»Wenn nur der Frühling nicht so schnell vorüberginge!« sagte Rudolph; »er ist eine Morgenbegeisterung, die die Natur selbst nicht lange aushält.«
»Oder daß es uns nur gegeben wäre«, sagte Sternbald, »diese Fülle, diese Allmacht der Lieblichkeit in uns zu saugen, und im hellsten Bewußtsein diese Schätze aufzubewahren. Ich wünsche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Gesängen den übrigen Menschen diese Gefühle geben könnte; daß ich unter Musik und Frühlingswehen dichtete, und die höchsten Lieder sänge, die der Geist des Menschen bisher noch ausgeströmt hat. Ich fühle es jedesmal, wie Musik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie Engel mit himmlischer Unschuld alle irdischen Begierden und Wünsche fern abhalten. Wenn man ein Fegefeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, so ist im Gegenteil die Musik ein Vorhimmel, wo diese Läuterung durch wehmütige Wonne geschieht.«
»Das ist«, sagte Rudolph, »wie du die Musik empfindest; aber gewiß werden wenige Menschen mir dir darin übereinstimmen.«
»Davon kann ich mich nicht überzeugen«, rief Franz aus. »Nein, Rudolph, sieh alle lebendige Wesen, wie die Töne der Harfe, der Flöte, und jedes angeschlagenen Instrumentes sie ernst machen: selbst die Gesänge, die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern, gießen eine schmachtende Sehnsucht, eine unbekannte Wehmut in das Gemüt. Der Jüngling und das Mädchen mischen sich dann in den Reigen, aber sie suchen mit den Gedanken jenseit dem Tanze einen andern, geistigern Genuß.«
»Oh, über die Einbildungen!« sagte Rudolph lachend; »eine augenblickliche Stimmung in dir
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