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Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
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unterbrach sich Rudolph selber, »das war für die arme Menschheit eine traurige Lage, die so plötzlich das goldene Zeitalter verloren hatte? Aber hört nur weiter:
    Alle Götter ohn Erbarmen
Sahn hinunter auf die Armen,
Ihr Verderben ihr Entschluß.
Oh, wer wäre Mensch verblieben,
Ohne Götter, ohne Lieben,
Ohne Sehnsucht, ohne Kuß? –
        Bacchus sieht, ein junger Gott,
Lächelnder Wang, mit Blicken munter
Zur verlaßnen Erd hinunter,
Ihn bewegt der Menschheit Not.
        Und es spricht die Silberstimme:
›Meine Freunde sind zu wild,
Ihrem eigensinngen Grimme
Unterliegt das Menschenbild.
        Dürfen sie die Welt verhöhnen
Weil kein Tod uns Göttern dräut?
Sollen denn nur Angst und Stöhnen
Leben sein und bittres Leid?‹
    Aber, meine Freunde, ich bin des Singens und Trinkens überdrüssig.« Und mit diesen Worten sprang er vom Tische herunter.
    Unter der berauschten Gesellschaft entstand ein Gemurmel, weil sie stritten, welcher von den beiden Poeten den Preis verdiene. Die meisten Stimmen schienen für den alten Sänger, einige aber, die durch ihre Vorliebe für das Neue einen bessern Verstand anzudeuten glaubten, nahmen sich des Florestan mit vielem Eifer an. Auch Sternbald mischte sich scherzend in den Streit, um seinem Freunde beizustehen.
    »Man weiß nicht recht, was der junge Mensch mit seinem Gesange oder Liede will«, sagte einer von den ältesten. »Ein gutes Weinlied muß seinen stillen Gang für sich fortgehen, damit man brav Lust bekömmt, mitzusingen, weshalb auch oft blinkt, klingt und singt darin angebracht sein muß, wie ich es auch noch allenthalben gefunden habe. Allein was sollen mir dergleichen Geschichten?«
    »Freilich«, sagte Florestan, »kann es nichts sollen; aber, lieben Freunde, was soll euch denn der Wein selber? Wenn ihr Wasser trinkt, bleibt ihr auch um vieles mäßiger und verständiger.«
    »Nein«, schrie ein andrer, »auch im Weine kann und muß man mäßig sein; der Genuß ist dazu da, daß man ihn genießt, aber nicht so gänzlich ohne Verstand.«
    Rudolph lachte und gab ihm recht, wodurch viele ausgesöhnt wurden und zu seiner Partei übergingen. »Ich habe nur den Tadel«, sagte Sternbald, »daß dein Gedicht durchaus keinen Schluß hat.«
    »Und warum muß denn alles eben einen Schluß haben?« rief Florestan, »und nun gar in der scherzenden fröhlichen Poesie! Fangt ihr nur an, zu spielen, um aufzuhören? Denkt ihr euch bei jedem Spaziergange gleich das Zurückgehen? Es ist ja schöner, wenn ein Ton leise nach und nach verhallt, wenn ein Wasserfall immer fortbraust, wenn die Nachtigall nicht verstummt. Müßt ihr denn Winter haben, um den Frühling zu genießen?«
    »Es kann sein, daß Ihr recht habt«, antworteten einige, »ein Weinlied nun gar, das nichts als die reinste Fröhlichkeit atmen soll, kann eines Schlusses am ersten entbehren.«
    »Aber wie ihr nun wieder sprecht!« rief Florestan im tollen Mute, indem er sich hastig rundherum drehte. »Ohne Schluß, ohne Endschaft ist kein Genuß, kein Ergötzen durchaus nicht möglich. Wenn ich einen Baumgang hinuntergehe, sei er noch so schön, so muß ich doch an den letzten Baum kommen können, um stillzustehn und zu denken: ›Dort bin ich gegangen.‹ Im Leben wären Liebe, Freude und Entzücken nur Qualen, wenn sie unaufhörlich wären, daß sie Vergangenheit sein können, macht das zukünftige Glück wieder möglich, ja, zu jedem großen Manne mit allen seinen bewundernswerten Taten gehört der Tod als unentbehrlich zu seiner Größe, damit ich nur imstande bin, die wahre Summe seiner Vortrefflichkeit zu ziehen, und ihn mit Ruhe zu bewundern. In der Kunst gar ist der Schluß ja nichts weiter, als eine Ergänzung des Anfangs.«
    »Ihr seid ein wunderlicher Mensch«, sagte der alte Poet, »so singt uns also Euren Schluß, wenn er denn so unentbehrlich ist.«
    »Ihr werdet aber damit noch viel weniger zufrieden sein«, sagte Florestan, »doch es soll Euch ein Genüge geschehn.« Er nahm die Zither wieder in die Hand, spielte und sang:
    »Bacchus läßt die Rebe sprießen,
Saft durch ihre Blätter fließen,
Läßt sie weiche Lüfte fächeln,
Sonnet sie mit seinem Lächeln.
        Um die Ulme hingeschlungen
Steht die neue Pflanz im Licht,
Heimlich ist es ihm gelungen,
Denn die Götter merken's nicht.
        Läßt die Blüten rötlich schwellen
Und die Beeren saftig quellen,
Fürchtend die Götter und das Geschick
Kommt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück.
        Nun kommen die Menschlein

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