Franz Sternbalds Wanderungen
geben wollte, es niederzuschreiben. Sieh, es ist indes schon Abend geworden. Kennst du Dantes großes Gedicht?«
»Nein«, sagte Franz.
»Auf eine ähnliche ganz allegorische Weise ließe sich vielleicht eine Offenbarung über die Natur schreiben, wenn es dem Dichter verliehen wäre, so wie der große Florentiner von Begeisterung und prophetischem Geiste durchdrungen zu sein. Aber laß das; versuchen wir einmal einen Wechselgesang, ob er uns heut so ohne Vorbereitung gelingt, da wir neulich unterbrochen wurden.«
»Wir können es wenigstens wagen«, sagte Franz; »aber du mußt das Silbenmaß setzen.«
Rudolph fing an:
Wer hat den lieben Frühling aufgeschlagen
Gleich wie ein Zelt
In blühnder Welt?
Wer konnte Wolkennacht verjagen?
Das Tal voll Sonne,
Der Wald mit Wonne
Und Lied durchklungen: –
Der Lieb ist nur so schönes Werk gelungen.
Franz
Der Lieb ist nur so schönes Werk gelungen
Daß Winter kalt
Entflohen bald,
Die holde Macht hat ihn bezwungen:
Die Blumen süße,
Der Quell, die Flüsse,
Befreit von Banden
Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden.
Rudolph
Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden
Der Wechselsang,
Der Echoklang,
Daß sie im heitern Raum sich fanden.
Die Nachtigallen-
Gesänge schallen,
Die Lindendüfte
Umspielen liebekosend Frühlingslüfte.
Franz
Umspielen liebekosend Frühlingslüfte
Gras, Blume, Baum,
Wie Liebestraum
Hängt Rosenbluth um Felsenklüfte.
Um Grotten schwanken
Die Geißblattranken,
Des Himmels Ferne
Erhellen tausend goldne kleine Sterne.
Rudolph
Erhellen tausend goldne kleine Sterne
Die Nacht so hold,
Der Brunnen Gold
Gießt strahlend sich zur Erde gerne:
Mit Liebesblicken
Uns zu beglücken
Schaut hoch hernieder
Die Liebe, gibt uns unsre Grüße wieder.
Franz
Die Liebe gibt uns unsre Grüße wieder,
Drum Blumenwelt
Uns zugesellt,
Gesandt von ihr des Waldes Lieder:
Sie schickt die Rose
Daß sie uns kose,
Wie uns zu danken
Glänzt sie daher und lacht aus Efeuranken.
Rudolph
Glänzt sie daher und lacht aus Efeuranken?
Ja, Lilienpracht
Scheint hell mit Macht,
Ihr Glanz belebt den Liebeskranken,
Und leise drücken
Wie Kuß, Entzücken
Auf Lilien-Wange,
Daß hold die Liebe Dank von uns empfange.
Franz
Daß hold die Liebe Dank von uns empfange
Wird Mädchenmund
In trauter Stund
Geküßt bei Nachtigallgesange:
Die Liebe höret
Was jeder schwöret,
Sie wacht den Eiden,
Sie straft den Frevelnden mit bittern Leiden.
Rudolph
Sie straft den Frevelnden mit bittern Leiden,
Wann er erglüht
Das Mädchen flieht,
Und selbst die Häßlichen ihn meiden;
In Händen welken
Ihm Ros und Nelken,
Die Himmelslichter
Erblassen ihm, er singt als schlechter Dichter.
»Und darum wollen wir lieber aufhören«, sagte Rudolph, indem er aufstand, »denn ich gehöre selbst nicht zu den unbescholtensten.«
Die beiden Freunde gingen zurück. Der Abend hatte sich schon mit seinen dichtesten Schatten über den Garten ausgestreckt, und der Mond ging eben auf. Franz stand sinnend am Fenster seines Zimmers, und sah nach dem gegenüberliegenden Berge, der mit Tannen und Eichen bewachsen war, zu ihm hinauf schwebte der Mond, als wenn er ihn erklimmen wollte, das Tal glänzte im ersten funkelnd gelben Lichte, der Strom ging brausend dem Berge und dem Schlosse vorüber, eine Mühle klapperte und sauste in der Ferne, und nun aus einem entlegenen Fenster wieder die nächtlichen Hörnertöne, die dem Monde entgegengrüßten, und drüben in der Einsamkeit des Bergwaldes verhallten.
»Müssen mich diese Töne durch mein ganzes Leben verfolgen?« seufzte Franz; »wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin, dann dringen sie wie eine feindliche Schar in mein innerstes Gemüt, und wecken die kranken Kinder, Erinnerung und
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