Franz Sternbalds Wanderungen
unbekannte Sehnsucht wieder auf. Dann drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen sollte, höher über die Wolken hinaus, und von oben herab meine Brust mit neuem, schöneren Klange anfüllen, und meinen schmachtenden Geist mit dem höchsten, letzten Wohllaut ersättigen. Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgesang durchströmen, den Mondschimmer und die Morgenröte anrühren, daß sie mein Leid und Glück widerklingen, daß die Melodie Bäume, Zweige, Blätter und Gräser ergreife, damit alle spielend mein Lied wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten.« –
In der Einsamkeit spielte und sang er in leisen Tönen folgendes Lied, in welchem er die heitre Beklemmung, die süße Müdigkeit, die Träume, die schon die Stunde der Nacht im voraus besuchen, aussprechen wollte.
Mondscheinlied
Träuft vom Himmel der kühle Tau,
Tun die Blumen die Kelche zu,
Spätrot sieht scheidend nach der Au,
Flüstern die Pappeln, sinkt nieder die nächtige Ruh.
Kommen und gehn die Schatten,
Wolken bleiben noch spät auf,
Und ziehn mit schwerem, unbeholfnem Lauf
Über die erfrischten Matten.
Schimmern die Sterne und schwinden wieder,
Blicken winkend und flüchtig nieder,
Wohnt im Wald die Dunkelheit,
Dehnt sich Finster weit und breit.
Hinterm Wasser wie flimmende Flammen,
Berggipfel oben mit Gold beschienen,
Neigen rauschend und ernst die grünen
Gebüsche die blinkenden Häupter zusammen.
Welle, rollst du herauf den Schein,
Des Mondes rund freundlich Angesicht?
Es merkt's und freudig bewegt sich der Hain,
Streckt die Zweig entgegen dem Zauberlicht.
Fangen die Geister auf den Fluten zu springen,
Tun sich die Nachtblumen auf mit Klingen,
Wacht die Nachtigall im dicksten Baum,
Verkündet dichterisch ihren Traum,
Wie helle, blendende Strahlen die Töne niederfließen,
Am Bergeshang den Widerhall zu grüßen.
Flimmern die Wellen,
Funkeln die wandernden Quellen,
Streifen durchs Gesträuch
Die Feuerwürmchen bleich. –
Wie die Wolken wandelt mein Sehnen,
Mein Gedanke, bald dunkel, bald hell,
Hüpfen Wünsche um mich wie der Quell,
Kenne nicht die brennenden Tränen.
Bist du nah, bist du weit,
Glück, das nur für mich erblühte?
Ach! daß es die Hände biete
In des Mondes Einsamkeit.
Kömmt's aus dem Walde? schleicht's vom Tal?
Steigt es den Berg vielleicht hernieder?
Kommen alte Schmerzen wieder?
Aus Wolken ab die entflohne Qual?
Und Zukunft wird Vergangenheit!
Bleibt der Strom nie ruhig stehn.
Ach! ist dein Glück auch noch so weit,
Magst du entgegengehn;
Auch Liebesglück wird einst Vergangenheit.
Wolken schwinden,
Den Morgen finden
Die Blumen wieder:
Doch ist die Jugend einst entschwunden,
Ach! der Frühlingsliebe Stunden
Steigen keiner Sehnsucht nieder.
Fünftes Kapitel
Am folgenden Morgen stand der junge Maler früh auf und durchstreifte die Säle des Schlosses. Er stand vor dem Bilde eines Mannes still, das ihm bekannt schien, der Abgebildete war in Rittertracht und das Gesicht desselben hatte einen anmutigen Ausdruck. Indem er noch sann, kam Rudolph zu ihm, welcher ihn aufsuchte, um auf einige Tage Abschied von ihm zu nehmen, weil er mit seinem dichterischen Vetter eine Reise in das Land tun wollte, um andre, noch entferntere Anverwandte zu besuchen. Franz machte ihn auf das Bild aufmerksam, und glaubte nach längerer Betrachtung jenen Mönch wiederzuerkennen, welcher ihn so angezogen hatte, doch Rudolph eilte nach seiner leichtsinnigen Art über diese scheinbare Entdeckung weg, und zog ihn zum Frühstück, nach welchem er sogleich abreisen wollte.
Franz trennte sich ungern von ihm, weil er sich im weitläuftigen Hause unter so vielen Menschen ohne ihn einsam fühlte. Die Gräfin ließ ihn rufen, um ihr Bild anzufangen. Sie war in einem leichten, reizenden Morgenkleide und kam ihm mit der lieblichsten Freundlichkeit entgegen. »Ich habe Euch darum so früh rufen lassen«, fing sie an, »weil ich wünsche, daß Ihr mein Bild, welches Ihr für mich malen wollt, mit der größten Lust ausführtet; ich habe aber immer geglaubt, daß auf die Kleidung, ihre Form und Farbe vieles ankomme, und darum will ich mit Euch wählen, welche Ihr mir am zuträglichsten haltet. Ihr, als Maler, müßt das am besten verstehn, und die Weiber, welche gefallen wollen, sollten die Künstler öfter zu Rate ziehn.«
Sie ging mit ihm in ein anstoßendes Zimmer, dessen Fenster von
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