Franziskus, der neue Papst (German Edition)
Augen, dass das Oberhaupt einer der mächtigsten Organisationen der Welt, der geistliche Führer von mehr als einer Milliarde Menschen, um Nachsicht und Vertrauen bittet. Erst dann wird einem möglicherweise bewusst, über welch menschliche Größe Benedikt XVI. verfügt hat. Er war in der Lage, seine eigene Unzulänglichkeit zuzugeben – viel leichter leider, als es ihm fiel, andere für ihre Unzulänglichkeit zur Verantwortung zu ziehen. Benedikt XVI. hat über diese besondere Stärke verfügt, weil er sich letztlich nur Gott verpflichtet fühlte. Sein Rücktritt sei, so würdigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, »Ausdruck eines gläubigen Lebens, das um beides weiß: um die Würde des Menschen, die darin besteht, getragen von der Sendung der Kirche, Gott in dieser Welt zu bezeugen; das aber auch um die Endlichkeit des Menschen weiß, die ihn motiviert, die engen Grenzen der eigenen Kraft anzuerkennen und im Letzten aus dem Vertrauen darauf zu leben, dass Gott und nicht der Mensch das Gelingen bringt«. So wie Benedikt XVI. sein Amt angenommen hat, weil er sich Gott und dem Dienst verpflichtet gefühlt hat, so hat er es auch abgegeben, als er sich nicht mehr in der Lage sah, es auszuüben: »Der Herr ruft mich, ›auf den Hügel aufzusteigen‹, um mich noch mehr dem Gebet und der Betrachtung zu widmen«, sagte der scheidende Heilige Vater bei seinem letzten Angelus-Gebet. »Das bedeutet aber nicht, die Kirche im Stich zu lassen, im Gegenteil, wenn Gott dies von mir verlangt, dann heißt das, dass ich weiterhin der Kirche dienen kann mit derselben Zuneigung und Liebe, wie ich es bisher tat, doch auf eine Weise, die meinem Alter und meinen Kräften entspricht.« Dieses letzte sonntägliche Statement hat damals viele unter den Tausenden auf dem Petersplatz zu Tränen gerührt. Es war nicht nur ein emotionaler Abschied, nicht nur eine Erklärung seiner Entscheidung. Benedikt XVI. hat mit seinem Rücktritt in Tat umgesetzt, was er in der Theologie und der Theorie immer wieder gefordert hat. Die Entscheidung, das Papstamt niederzulegen, war die ultimative Verkörperung der Lebenssynthese Benedikts XVI., der Synthese von Glaube und Vernunft. Der Heilige Vater hielt das Weitermachen aus rationalen Gründen heraus für unverantwortlich. Zugleich hat er daran geglaubt, dass Gott ihn bei dieser Entscheidung führt. Er hat davon gesprochen, Gott habe ihn gerufen – ein Ruf, der in der letzten Instanz des Menschen zum Klingen kommt, im Gewissen.
Das Gewissen war für den jungen Theologen Joseph Ratzinger zu Beginn seiner Karriere kein besonders wichtiges Thema. Im Laufe der Zeit hat sich dies geändert. Die Seligsprechung Kardinal John Henry Newmans ist ein offenkundiges Indiz dafür. Newman hat die katholische Lehre vom Gewissen auf grandiose Art und Weise weiterentwickelt. Die Tatsache, dass ihn Benedikt XVI. während seiner Großbritannien-Reise persönlich seligsprach, zeigt nicht nur die Wertschätzung, die Newman genoss, sondern auch die Wichtigkeit des Themas des Gewissens. Noch deutlicher wird dies, wenn man Benedikts Rücktrittserklärung liest: »Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.« Bereits zwei Jahre zuvor hatte er in Sulmona über Coelestin V., den ersten freiwillig zurückgetretenen Papst, erzählt: »So war es für den heiligen Coelestin V.: Er wusste, wie man seinem Gewissen folgen und Gott gehorsam sein kann; wie man also ohne Angst und mit großem Mut handeln kann. Aber war die Entscheidung des heiligen Pietro Coelestin für das Einsiedlerleben denn kein Einzelgängertum, keine Flucht vor der Verantwortung? Gewiss, diese Versuchung besteht. Aber in den von der Kirche approbierten Erfahrungen steht das einsame Leben des Gebets und der Buße stets im Dienst der Gemeinschaft, es ist offen für die anderen, es steht niemals im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Gemeinschaft.«
Benedikt XVI. hat mit seinem spektakulären Schritt der Welt gezeigt, dass er sich von den Versuchungen der Macht nicht hat korrumpieren lassen. Kurz nach seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. beim Angelus über die Versuchungen gesprochen und erklärt: »Der Versucher ist hinterhältig: Er drängt nicht direkt zum Bösen, sondern über ein falsches Gut, indem er glauben macht, dass die wahren Wirklichkeiten die Macht
Weitere Kostenlose Bücher