Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
neuen Papstes hört es endlich auf zu regnen. Die Italiener halten ihre Fahnen in der Hand, um einen ihrer Stars, Angelo Scola oder Tarcisio Bertone, feiern zu können. Die Brasilianer schwenken Fahnen, sie rechnen damit, dass Odilo Pedro Scherer, der Kardinal von São Paulo, als neuer Papst auf den Balkon kommen wird.
Dann tritt Kardinal Jean-Louis Tauran auf den Balkon des Petersdoms und verkündet, worauf die Welt gewartet hat: »Annuntio vobis gaudium magnum, habemus Papam!« (»Ich verkünde euch eine große Freude: Wir haben einen Papst!«) Dann sagt Tauran den Satz, der sich erst endlos zu dehnen scheint, bis endlich der Name des neuen Papstes fällt: »Eminentissimum ac Reverendissimum Dominum Georgium Marium …« Das war schon mal der Vorname des neuen Papstes, Georgius Marius. Schweigen auf dem Platz. Wie bitte, Georgius Marius? Wer heißt denn mit Vornamen so? Der Spitzenkandidat der Italiener heißt Angelo, ein anderer aus Kanada Marc. Dann hätte Tauran aber » Angelum« oder »Marcum« sagen müssen. Tauran spricht immer noch, es dauert, bis er zum Nachnamen kommt: Erst muss er noch den Titel nennen, »Santae Romanae Ecclesiae Cardinalem«, und dann endlich: »Bergoglio.« Die Massen von Gläubigen, die auf dem Platz und der dorthin führenden Via della Conciliazione warten, erstarren in Stille. Georgius Marius Bergoglio. Wer ist das denn? Nur ganz vorn schwenkt ein kleines Grüppchen eine Fahne, die Nationalflagge Argentiniens. Dann spricht Kardinal Tauran weiter: »qui sibi nomen imposuit Franciscum« (»der sich den Namen Franziskus gab«). Jetzt brandet Applaus über den Platz. Ein Kollege steht neben mir und schaut mich ungläubig an. Der erste Papst in der Geschichte, der sich den Namen des heiligen Franziskus gibt. Der erste Papst in der Geschichte der Kirche, der aus der Gesellschaft Jesu kommt, der ein Jesuit ist.
Dann kommt Franziskus auf den Balkon, und die ganze Welt erwartet eine bedeutsame Geste, aber der Mann aus Buenos Aires sagt etwas so Naheliegendes, dass niemand es erwartet hätte: »Buona sera« – »Guten Abend.« Er spricht so bescheiden, als wollte er sich entschuldigen, dass er einen ruhigen Fernsehabend gestört hat. Dann nimmt er sich selber auf die Schippe, wie er es schon in der Sixtinischen Kapelle vor den Kardinälen getan hatte. Da hatte er den Kardinälen gesagt, dass er darauf hoffe, dass »Gott ihnen vergeben möge« dafür, dass sie ihn, Jorge Mario Bergoglio, zum Papst gewählt haben. Auf dem Balkon sagt er nun: »Es scheint, meine Mitbrüder, die Kardinäle sind fast bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn zu holen.« Dann entschließt er sich zu einer Geste, die keiner seiner 265 Vorgänger jemals vollzogen hatte: Er spendet nicht der Menge den Segen, sondern er bittet sie darum, den Herrn anzurufen, dass dieser ihn, Bergoglio, segne. Das ist unfassbar, über mehr als ein Jahrtausend hatten Menschen ihr Leben riskiert, um sich in Rom vom Papst den Segen erteilen zu lassen, und jetzt bittet ein Papst die Menge um Fürbitten, dass er gesegnet werde. »In Stille wollen wir euer Gebet für mich halten.« Danach begeht er einen ähnlichen Fauxpas wie der große Karol Wojtyła am Tag seiner Wahl 1978. Wojtyła hatte auf Italienisch sagen wollen: »Wenn ich einen Fehler in der italienischen Sprache mache, werdet ihr mich korrigieren« – und machte in diesem Satz prompt einen Fehler. Jorge Mario Bergoglio betet das Ave-Maria und verwechselt Italienisch mit Spanisch. Statt »con te« – mit dir – sagt er »con ti«, wie es im Spanischen heißt. Am Ende verabschiedet er sich wie ein alter Gemeindepfarrer: »Schlaft gut.«
Rom wird sich jetzt daran gewöhnen müssen, einen Papst zu haben, der um 21 Uhr zu Bett geht, dafür aber um vier Uhr morgens aufsteht. Nach der Zeremonie wartet vor dem Apostolischen Palast der pompöse S-Klasse-Mercedes, den Papst Benedikt XVI . geschenkt bekam, ein Auto, das weit über 100000 Euro kostet. Doch Papst Franziskus weigert sich einzusteigen, er setzt sich in den Bus, zusammen mit den anderen Kardinälen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone muss sich allein in die schicke Dienstlimousine setzen. Das ist etwas Unerhörtes: Ein Papst fährt Bus, wer hätte das je für möglich gehalten! Auf dem Petersplatz ruft die Menge »Fran-ces-co« und »Ber-go-glio.«
Auch ich stand an diesem verregneten Tag in der feiernden Menge auf dem Petersplatz und staunte einfach nur über das, was geschehen war. Der Balkon war längst leer, der neue
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