Franzosenliebchen
Kaffee im Bahnhofsrestaurant.
Der Zug fuhr
pünktlich ab. Goldstein hatte das Abteil für sich allein
und konnte so in Ruhe beginnen, den Bericht über die
Ereignisse in Herne zu formulieren. Er zeichnete jeden Schritt
seiner Ermittlungen im Detail nach, ohne etwas zu beschönigen
oder auszulassen. So vergingen die Stunden wie im Flug.
In Berlin angekommen,
bezog er Quartier in einem kleinen Hotel in einer
Nebenstraße.
*
Am nächsten
Morgen stand Goldstein zeitig auf und begab sich zunächst zu
seiner Dienststelle, um von dort mit Kriminalsekretär Hofer,
dem Assistenten Sanders, zu telefonieren. Hofer schien nicht
besonders überrascht, von ihm zu hören. Er regte an, dass
Goldstein seinen Bericht unverzüglich durch einen Boten zu
Sanders Büro bringen lassen sollte. Um drei Uhr könne er
dann bei Kriminaldirektor Sander vorstellig werden.
Als Goldstein
schließlich das massige Gebäude betrat, erinnerte er
sich an seinen letzten Besuch im Adelsclub, als ihm Sander die
gefälschten Papiere aushändigt hatte. War seitdem
wirklich erst etwas mehr als ein Monat vergangen?
Hofer reichte ihm zur
Begrüßung die Hand und führte ihn ohne Umschweife
in Sanders Büro. Der Kriminaldirektor blickte bei Goldsteins
Eintreten von seinen Papieren auf und gab Goldstein mit einer
Handbewegung zu verstehen,
dass er auf dem Sessel
vor dem Schreibtisch Platz nehmen sollte.
»Schön,
dass Sie unversehrt wieder bei uns in Berlin sind«,
eröffnete Sander die Besprechung. Er griff zu der Akte, die
vor ihm lag, und hielt sie hoch. Goldstein erkannte den von ihm
verfassten Bericht.
»Gute
Arbeit«, meinte der Kriminaldirektor anerkennend. »Mein
Kompliment.«
Goldstein fühlte
sich geschmeichelt.
»Wirklich
tragisch, die Tat von diesem Wiedemann. Dass ein deutscher Beamter
… Aber lassen wir das. Ich bin Ihnen, Herr Goldstein, sehr
dankbar für das, was Sie dort unten im Ruhrpott geleistet
haben. Unter diesen Bedingungen … Die Berliner Polizei kann
wirklich stolz darauf sein, einen Mann wie Sie in ihren Reihen zu
haben. Nur …«
Sander lehnte sich
zurück, öffnete eine Zigarrenkiste, griff sich eine und
bot nach kurzem Zögern auch Goldstein eine an.
Die Männer
nebelten sich ein, dann fuhr Sander fort: »Um keinen Zweifel
aufkommen zu lassen: Ihre kriminalistische Leistung steht
außer Frage. Aber …«
Goldstein beschlich
ein ungutes Gefühl. Was sollte dieses Herumgerede?
»Kurz und gut:
Meinen Sie nicht auch, dass es, nachträglich betrachtet,
keinen Sinn macht, die Ereignisse so zu schildern, wie Sie es getan
haben?«
»Ich verstehe
nicht ganz, Herr Kriminalrat.«
»Lassen Sie es
mich so erklären: Die kleine Treppmann ist tot. Ihr
Mörder auch. Er kann also strafrechtlich nicht mehr zur
Verantwortung gezogen werden. Wiedemann war der Täter, das ist
unbestritten. Aber er ist auch ein deutscher Patriot gewesen.
Welchen Sinn macht es, ihn des Mordes zu beschuldigen? Und dann die
Ausschaltung dieses Schneiders durch Saborski. Der Mann
gehört dem aktiven Widerstand an, war Soldat wie Sie. Saborski
ist einer Ihrer Kameraden. Denken Sie doch nach! Und den Eltern der
Kleinen kann es völlig egal sein, wer denn nun offiziell als
Täter bezeichnet wird. Ihre Tochter wird schließlich
dadurch nicht wieder lebendig, dass Sie die Namen deutscher
Patrioten in den Schmutz ziehen.«
Goldstein traute
seinen Ohren nicht. Sprach so ein hoher Polizeibeamter? »In
den Schmutz ziehen? Aber ich schildere doch die
Wahrheit.«
Sanders klang jetzt
wieder versöhnlicher. »Das bezweifelt niemand. Sie
sollen ja auch keine Falschaussage machen. Nur Ihre Ergebnisse,
sagen wir, etwas anders interpretieren.« Er klappte die Akte
mit Goldsteins Bericht zu, griff zu einem anderen Ordner und
reichte diesen Goldstein. »Lesen Sie.«
Goldstein schlug den
Ordner auf. An oberster Stelle lag dort eine Urkunde, ausgestellt
auf seinen Namen. Es handelte sich um seine sofortige
Beförderung zum Kriminalkommissar und eine Versetzung nach
Bochum nach dem Ende der französischen Besetzung. Eingetragen
war das Datum des heutigen Tages. Nur eine Unterschrift
fehlte.
Er blätterte
weiter und fand einen Bericht über seine Ermittlungen in
Herne, mit einer Schreibmaschine erstellt. Goldstein las eilig. Die
ersten Seiten schilderten wahrheitsgetreu die Ereignisse bis zu dem
Punkt, an dem es um die Identifikation der Fingerabdrücke
ging. Es folgte frei Erfundenes über die erwiesene Schuld
Sollés und die seines Kameraden und über
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