Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
Reiter. Ich würde sie sofort an ihren Bewegungen erkennen. Sie ist so eine Elfe.« Ida ging ein Stück zur Seite, damit Ka-tinka in den oberen Flur treten konnte. »Sie haben nach dem Keller gefragt. Dort stapeln sich alte Umzugskisten, ein paar blödsinnige Möbel und Konserven. Nichts wirklich Interessantes.«
Katinka grinste. Auf den zweiten Blick passte das Haus perfekt zu seiner Bewohnerin. Diese Dame, weit in den Siebzigern, mit ihrem adretten Kostümchen und der Bluse mit Rüschenkragen, der Gemme über dem oberen Knopf, gab sich nach außen konservativ, doch im Innern blühte eine Pflanze aus einer anderen Welt. Auch ihr Zuhause hatte sie nach exotischen Maßstäben eingerichtet. Dunkle Masken aus Holz schmückten die Wände, Schiffe in Flaschen standen auf den Regalbrettern, die ohnehin vor Büchern überquollen. Verrückte Skulpturen wechselten mit Musikinstrumenten, von denen Katinka bisher nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
»Kennen Sie das hier?« Ida Schenck wies auf ein Instrument, das vage an ein Glockenspiel erinnerte. »Ein Ballaphon. Ich habe es in Westafrika gekauft. Ich glaube, in Mali.«
»Sie sind viel gereist?«, fragte Katinka, während sie schnell das Schlafzimmer überprüfte. Ein ungemachter Futon lag auf dem Fußboden in der Mitte des Zimmers, darum herum waren Bücher- und Zeitschriftenstapel aufgeschichtet.
»Unendlich viel«, freute sich Ida Schenck. »Ich zehre noch heute davon. Zwar bin ich noch halbwegs gut zu Fuß, aber eine Reise durch Afrika wäre inzwischen nicht mehr meins. Tja. Die Welt hat sich auch sehr verändert, nicht wahr? Als ich jung war, konnte ich als Frau sicher um den Globus reisen. Das mag Ihnen unvorstellbar erscheinen. Aber ich wurde immer mit Respekt behandelt. Mit wirklicher Wertschätzung.«
Katinka schob die Gardine zur Seite. Unter ihr lag der herbstliche Garten, still und friedlich. Beinahe wäre sie auf Vishnu getreten. Er fauchte böse und zog sich zurück. Katinka hätte nicht sagen können, wo er hergekommen war.
»Ich bin studierte Archäologin«, hörte sie sich sagen. »Aber gereist bin ich nicht so viel … bisher.«
»Ein Fehler, Frau Palfy, ein Fehler. Reisen ist die einzige Inspiration, von der man als junger Mensch wirklich profitiert.«
Ida Schenck griff ins Regal und zog eine Schachtel heraus. Sie war über und über mit Postkarten gefüllt.
»Hier, die habe ich mir selber geschrieben. Wenn ich dann heimkam, hatte ich das Tagebuch im Briefkasten.« Sie lachte. »Ich war sogar im Sudan. Hier, kennen Sie den Löwentempel von Musawwarat es Sufra? Auf der Karte erkennt man sogar die berühmte Reliefdarstellung des Königs Arnekhamani. Und wenn Sie Archäologin sind, wieso stehen Sie dann hier herum und hören sich die Lebensgeschichte eines Wracks an? Sie gehören da raus!« Ida Schenck machte ein unwirsche Handbewegung ins Nirgendwo. »In die Wüsten und Täler, wo es noch Schätze zu finden gibt.«
Katinka seufzte.
»Es ist nicht ganz so einfach … vom Arbeitsmarkt her. Also …« Sie stellte fest, dass sie sich verteidigte, und wurde rot vor Ärger. Inzwischen konnte sie ihren beruflichen Wechsel für sich selbst akzeptieren, aber es war eine andere Sache, Fremden klarzumachen, was sie dazu bewogen hatte. »Es hat sich einfach so ergeben. Aber Detektivin und Archäologin …«
»Das passt natürlich zusammen, ich sehe es ein«, lachte Ida Schenck. »Dennoch sollten Sie mehr reisen. Drei bis vier m al im Jahr, das ist der rechte Rahmen. Sie sind doch noch keine 30! Bis zum 40. Lebensjahr denken Sie, körperliche Gebrechen würden niemals eine Rolle spielen«, sagte Ida. »Aber dann tun Ihnen abends die Füße weh, und wenn Sie lange stehen, werden die Beine schwer. Damit fängt es an.« Sie fegte mit der Hand über ihren Rock. »Wobei ich sagen muss, Frau Palfy«, sie schwieg und genoss die Spannung, die im Raum hing, »wobei ich sagen muss, dass ich mit 40 beruhigt hätte von dieser Welt gehen können. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich alle Gefühle gelebt, die ein Mensch nur imstande ist zu leben. Wirklich alles. Von Liebe und Hass bis Angst und Hoffnung. Tatsächlich bin ich zu jener Zeit immer mit dem Gedanken ins Bett gegangen, dass ich getrost abtreten kann, denn es gibt nichts mehr, was ich noch nicht kenne. Im Innern, meine ich.«
Unruhig ließ Katinka den Blick durchs Zimmer schweifen. Irgendwas an Idas Worten verunsicherte sie. Die Plastiken im Raum schienen ihr zwischen lebendig und tot zu schweben. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher