Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
Ohrensessel.
Katinka zuckte zusammen.
»Nichts Gefährliches, Frau Palfy, nur ein Whiskey-Kuchen, eine Delikatesse aus Schottland. Überhaupt eines meiner bevorzugten Reiseziele. Früher natürlich. Das Wetter macht’s. Bei den ständigen Wechseln von Regen, Sturm und Sonne wird Schottland nie von Touristen überlaufen sein.«
Katinka spürte nur den Lufthauch, als Vishnu zum Sprung ansetzte und neben ihrem Kuchenteller auf dem Tisch landete.
»Hej, verzieh dich«, wisperte sie.
»Er darf«, verkündete Ida. »Ich weiß, dass er ungezogen ist. Aber sehen Sie es ihm nach. Was habe ich schon davon, wenn er nicht auf den Tisch springt.« Sie kicherte. Katinka kam sich vor wie in einem Film von Almodóvar, umkreist von seinen spleenigen Figuren. Sie biss in den Glenfiddich-Kuchen und starrte hinaus in den Garten. Am Fenster stand der Bamberger Reiter und blickte zu ihr ins Zimmer.
2. Der Reiter
Katinka zuckte zurück. Während ihr Herz hämmerte, bemühte sie sich, von dem Gesicht des Spuks so viele Details wie möglich zu erkennen. Tatsächlich sah er aus wie das berühmte Reiterstandbild. Wahrscheinlich hatte er sich eine gute Maske besorgt, die die Züge der steinernen Figur aus dem Dom perfekt wiedergab. Auch die Wuschelhaare und die Kappe auf seinem Kopf sahen aus wie die des Originals. Einzig und allein das Abgeklärte, Ruhige fehlte bei dem Exemplar vor dem Fenster vollkommen. Die Maske hatte verzerrte Lippen und entblößte ein hämisches, gemeines Grinsen, das Katinka eiskalten Schweiß über den Rücken jagte.
Sie griff nach ihrer Waffe und lief geduckt durch das Wohnzimmer zur Terrassentür. Ida Schenck musste die Kerze ausgeblasen haben. Nur ihren Schatten konnte Katinka in dem Ohrensessel erkennen.
»Bitte schließen Sie die Tür hinter mir!«, flüsterte sie der alten Dame zu. Es kam keine Antwort.
Leise öffnete sie die Glastür und schlich sich in den Garten. Der Halbmond schickte ausreichend Licht, doch die Wolkenfetzen, die in dem kalten Wind trieben, bedeckten ihn ab und zu. Auf der Erde wechselten sich die Schatten ab: hell, dunkel, hell, dunkel. Katinka bemühte sich, regelmäßig zu atmen. Sie fühlte ihr Herz pochen, als sie um die Hausecke pirschte. Vorsichtig blickte sie die Kellertreppe hinunter, um den Spuk nicht plötzlich im Rücken zu haben. Irgendwo knirschte Kies. Sie blieb stehen, keuchend, wartete ab. Ging dann weiter.
Nun stand sie im Vorgarten. Sie konnte selber durch das Fenster sehen, durch das eben der Reiter gespäht hatte. Er hatte sie unmöglich sehen können, drinnen war alles dunkel. Das verschaffte ihr einen Vorteil. Er wusste nicht, dass jemand hinter ihm her war. Allen Ernstes fragte sich Katinka, ob er ein Pferd dabei hatte, wie sein kunstvolles Vorbild. Als sie den Gartenweg zur Hecke ging, um nachzusehen, hörte sie die Terrassentür schlagen. Einen Moment blieb sie wie angewurzelt stehen, dann raffte sie sich auf und lief um das Haus zurück. Der Reiter stand auf der Terrasse und spähte seelenruhig ins Haus. Er rüttelte am Türknauf. Kratzte mit den Fingernägeln über das Glas.
Katinka hob die Waffe. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie musste mit beiden Händen zufassen, um die Pistole gerade zu halten.
»Bleiben Sie stehen, wo Sie sind«, rief sie ihm zu. Ein Windstoß schien ihr die Silben vom Mund wegzublasen. Der Reiter wandte sich um. Im hellen Mondlicht sah sein Gesicht zum Fürchten aus. Sein Gewand flatterte im Nachtwind, als er vor Katinka davonlief. Sie flitzte ihm nach. Sie war sich sicher, ihn niederstrecken zu können, lange genug hatte sie in der Zwischenzeit Kampfkunst trainiert, doch kurz bevor sie ihn erreichte, drehte er sich um, packte sie und verdrehte ihr den Arm. Einen Moment roch sie seinen Atem. Sie holte aus und schlug ihm mit der Linken die Pistole mitten ins Gesicht. Ein knackendes Geräusch war zu hören. Sie sah, wie ein Riss in der Maske klaffte. Der Reiter ließ Katinka los und rannte zur Straße. Sie lief ihm nach, er setzte über das niedrige Gartentor, überquerte die Fahrbahn und verschwand auf der gegenüberliegenden Seite zwischen den Bäumen.
Katinka rannte den asphaltierten Weg in den Hain hinein und kämpfte ihren Atem unter Kontrolle. Unmöglich konnte sie erkennen, welchen Weg er genommen hatte. Zu viele Pfade führten in die unterschiedlichsten Richtungen. Sie blieb stehen und lauschte. Der Wind ließ die Wipfel der Bäume rauschen, das Herbstlaub raschelte. So angestrengt horchte sie in den Wald hinein, dass
Weitere Kostenlose Bücher