Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
von selber immer tiefer. »Ich glaube, mir geht’s nicht gut«, murmelte sie.
Der Arzt diagnostizierte eine Lungenentzündung. Katinka bemerkte die ersten Tage wenig von dem, was um sie herum vor sich ging. Sie lag im Bett und starrte in den unverschämt blanken, kobaltblauen Himmel hinaus, zählte die Wolken, träumte und freute sich, wenn Vishnu aufs Bett sprang und ihr seine Aufwartung machte. Später, als sie sich besser fühlte, humpelte sie tagsüber in Toms Arbeitszimmer, kuschelte sich aufs Sofa und sah ihm beim Arbeiten zu. Klaglos ertrug er ihre Hustenanfälle und sorgte dafür, dass sie ihre Medikamente einnahm, regelmäßig lüftete und den Fuß hochlegte. Alle paar Tage nahm sich Katinka das Telefon und rief bei der Polizeidirektion an. Man gab ihr stets die gleiche Antwort. Nein, der Hauptkommissar sei nicht da, er habe seinen Jahresurlaub genommen sowie sämtlichen Resturlaub. Bis Ende des Jahres würde er nicht zum Dienst erscheinen. Nein, seine Kollegen wussten nicht, wo er sich aufhielt.
Katinka wählte an die hundert Mal seine Handynummer. Die Mailbox war ausgeschaltet. Die Automatenstimme erläuterte geduldig, der Anschluss des Teilnehmers sei vorübergehend nicht erreichbar. Please try again .
»Weißt du«, sagte Tom, »ich denke, du solltest ihn in Ruhe lassen. Wenn er angerufen werden will, dann regelt er es wohl auch so, dass man ihn findet.«
»Schon, ja«, sagte Katinka. Dennoch wühlte sie in einem unbeobachteten Augenblick das örtliche Telefonbuch aus dem Aktenschrank und suchte nach Uttenreuther, Harduin. Kein Eintrag.
Britta kam von ihrer Studienreise zurück und zeigte mindestens dreitausend Fotos von Florenz und seinen Kunstschätzen. Katinka wusste nur wenig mit all der Pracht anzufangen. Ihr Inneres fühlte sich kahl an, leergeräumt und brach.
Ein paar Tage später lag eine Postkarte im Briefkasten. Tom brachte sie hoch.
»Guck mal«, sagte er. »Er hat uns geschrieben.«
Katinka starrte auf die Abbildung einer hässlichen Stadt. Montevideo, Uruguay stand darunter. Sie begann zu lesen.
Ich habe mir einen Traum erfüllt und genieße den Frühsommer auf der anderen Hälfte der Welt. Hardo.
»Sparsamer geht’s ja nicht«, sagte Katinka.
Am Montag nach dem 2. Advent erweckte sie ihre Detektei wieder zum Leben. Eine hauchdünne Schneedecke lag auf den Dächern. Sie schob unter vollem Körpereinsatz die Tür zur Hasengasse 2a auf und ärgerte sich, dass sie immer noch mit lautem Kreischen über den Boden schrabbte, als jemand hinter ihr sagte:
»Palfy.«
Sie fuhr herum.
»Sie kennen mich vermutlich nicht mehr«, sagte er und grinste. Er trug die altbekannte Lederjacke und hatte einen knallbunten Schal um seinen Hals gewickelt. Das Design sah eindeutig südamerikanisch aus.
»Hardo!«
Sie starrten einander an wie Außerirdische.
»Wir haben Ihre Karte bekommen«, sagte Katinka dann. »Ich dachte schon, Sie ermitteln jetzt bei den Gauchos.«
»Ach, das mit den Gauchos, das ist nichts für mich«, sagte Uttenreuther und klopfte auf seinen Bauch. »Sie waren krank, wie ich hörte.«
»Spricht sich ja schnell rum.«
»So ist das in einer Kleinstadt.«
»Lungenentzündung«, sagte Katinka. »Aber ich bin wieder o.k. Heute schaue ich das erste Mal im Büro vorbei.«
»Und Ihr Fuß?«
»Zufriedenstellend.« Katinka hob das linke Bein und schlenkerte ein bisschen herum.
»Dann ist das eigentlich ein Grund zum Feiern«, sagte Hardo. Sein Gesicht, sein ganzer kahler Kopf waren braungebrannt.
»Vielleicht mit einem Frühschoppen?«, schlug Katinka vor und zog die Tür wieder hinter sich zu. Das Geräusch erinnerte sie an das Kratzen von vielen Fingernägeln auf einer Schultafel.
»Gute Idee«, sagte Hardo.
»Warum ausgerechnet Uruguay?«, wollte Katinka wissen, während sie nebeneinander die Hasengasse hinaufschlenderten. Eine Windbö wirbelte den Schmutz zu Schnecken. Sie schob die Hände tief in die Jackentaschen.
»Hat was mit Literatur zu tun«, antwortete Hardo. »Sagt Ihnen Juan Carlos Onetti was? Größter Autor der Urus. Es wird behauptet, sein Buch Der Schacht habe die Geburtsstunde des lateinamerikanischen Romans eingeläutet.«
»Und deswegen sind Sie da hingeflogen?«
»Natürlich nicht. Wie geht’s Ihnen, Katinka?«
»Geht so. War schon mal schlimmer. Und Ihnen?«
»Geht so.« Er lächelte. »Wie man so sagt.«
E N D E
Danksagung
Ein herzliches Dankeschön geht an dieser Stelle an …
… Hauptkommissar
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