Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
aufkreuzt«, sagte eine andere Stimme. Katinka war sich nicht sicher, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte.
Die Treppenstufen knärzten. Panisch sah Katinka sich um. Sie kroch unter das Sofa neben dem Fenster und zupfte an der Überdecke. Wenn die Besucher nicht gerade Staub wischen wollten, würde sie unbemerkt bleiben. Voller Angst legte sie ihren Kopf auf ihren Rucksack. In letzter Sekunde stellte sie das Handy ab.
»Mein Vater wird Idas Erbe hochhalten«, sagte die junge Stimme. Katinka sah ein paar schicke, schwarze Schuhe ins Zimmer kommen. Ihr Puls drückte aufs Tempo.
»Das können Sie sonst wem erzählen«, sagte die andere Stimme.
»Warum sind Sie so misstrauisch, Frau Unruh?«, kam es von der jungen Frau.
Aha, dachte Katinka. Das Unikum.
»Kommen Sie schon, Grit. Sie mögen die Wirklichkeit immer in den Farben aus dem Malkasten Ihres Vaters sehen, aber dadurch wird sie nicht anders.«
Eingeschnapptes Schweigen.
»Schmollen Sie nicht. Wo sind die Tagebücher?«
Katinka hielt den Atem an. All ihre Muskeln verkrampften sich. Hüten Sie sich vor Ihren Verwandten. Das sind die Leute, die Ihnen in Ihrem Leben am meisten Schwierigkeiten machen , schallte Idas Stimme durch ihren Kopf.
»Irgendwo hier im Zimmer.«
Bravo, dachte Katinka. Am Ende finden sie das Fach nicht und suchen unter dem Sofa. Ich Rindvieh. Und wenn sie es finden, kann ich die Tagebücher abschreiben. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie presste das Gesicht auf den feuchten Rucksack.
»Also im Schreibtisch. Ida war chaotisch, aber sie hatte Prinzipien.«
»Weiß ich nicht«, antwortete Grit schnippisch.
Katinka hörte, wie die Schreibtischtüren auf- und zugemacht wurden und die große Schublade in der Mitte herausgezogen wurde.
»Unbedeutendes Zeug«, sagte Sieglinde Unruh. Katinka hörte, wie Stifte auf den Boden fielen. Papier raschelte. »Ihr Schreibtisch ist ja leer wie eine Wüste!«
Ja, bis auf Locher und Tacker, dachte Katinka.
Ein Feuerzeug klickte.
»Muss das sein?«
»Nur die Ruhe, ja«, sagte Sieglinde Unruh scharf. »Ich bin hier so gut wie zu Hause. Und geraucht habe ich immer, das hat Ida nicht so eng gesehen. Bis zu ihrem 65. Geburtstag hat sie selbst gequalmt wie ein Großfeuer. Aber da waren Sie ja noch grasgrün hinter Ihren hübschen Öhrchen.«
Grit antwortete nicht. Feiner Zigarettengeruch zog durch das Zimmer.
»Sie erben das Haus, nicht wahr?«, fragte Sieglinde Unruh nach einer Weile.
»Keinen Schimmer«, antwortete Grit. Sie ging unruhig im Zimmer auf und ab. »Vielleicht eher meine Mutter.«
»Ihre Mutter?«
»Meine Mutter erbt bestimmt was«, sagte Grit. »Aber fragen Sie doch meinen Vater. Das Erbrecht kennt ziemlich klare Bestimmungen.«
»Pah. Hasseberg hat mit Sicherheit schon gepanscht.«
»Er ist der direkteste Verwandte«, gab Grit zurück. »Idas Neffe.«
»Der direkteste Verwandte.« Sieglinde Unruh hörte sich hämisch an. »Lernen Sie mal richtig Deutsch. Was wollen Sie studieren? Literatur? Da sind Sie an der falschen Stelle.«
Gemeine Kuh, dachte Katinka.
»Außerdem könnten Sie als Tochter eines renommierten Anwalts durchaus wissen, dass so was wie ein Pflichtteil nur für Abkömmlinge existiert. Ida hätte ihr Vermögen auch einem Penner vermacht haben können. Das würde übrigens zu ihr passen, finden Sie nicht?«
Grit reagierte nicht. Sie trat ans Fenster. Dann kam sie auf das Sofa zu. Sie rückte einige Kissen zurecht.
Katinka spürte Hitze durch ihren Körper fluten. Der Schweiß brach ihr aus. Sie roch sich selbst, einen scharfen, von Furcht durchtränkten Geruch.
»Verdammt kalt ist es hier. Wahrscheinlich hat der zukünftige Eigentümer gleich die Heizung abdrehen lassen. Sparsamkeit ist ja in manchen Kreisen eine Tugend.« Sieglinde Unruh rüttelte nun an den Seitenteilen des Schreibtisches. »Ida hat mal ein Fach erwähnt, zu dem man einen Schlüssel braucht.«
Das gibt es allerdings, dachte Katinka.
»Wir haben ja nicht mal den Schlüssel«, hörte sie Grits Stimme ganz nah.
»Schlösser kann man aufbrechen«, entgegnete Sieglinde Unruh.
»Ob das in Tante Idas Sinn ist, wage ich zu bezweifeln«, sagte Grit mehr zu sich selbst.
»Nicht meckern, suchen!«
»Vielleicht befindet sich das Geheimfach nicht im Schreibtisch«, sagte Grit. »Es könnte doch sein, dass sie hier in den Bücherregalen irgendwo ein Versteck eingerichtet hat.«
»Glaube ich nicht. Wo wollen Sie da Tagebücher aus fast sechzig Jahren unsichtbar machen. Ist doch alles offen
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