Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
einsehbar.«
»Jedenfalls müssen die Tagebücher hier im Zimmer sein«, erklärte Grit. »Hier hat sie immer gesessen und geschrieben.«
»Mich interessiert ja nur das l etzte«, sagte Sieglinde Unruh wie zu sich selbst. »Das nach dem Unfall.«
»Sie reden sich da was ein.«
»Ihnen traue ich nicht über den Weg. Sie saßen am Steuer!«
»Ich konnte nichts dafür. Genau das ist bei dem Prozess auch rausgekommen.«
»Prozesse sind Angelegenheiten, die mir von Anfang an suspekt sind«, erklärte Sieglinde Unruh. »Alles reine Ansichtssache. So arbeiten Anwälte.«
»Wenn Sie schon wieder auf meinen Vater abzielen …«
»Für Sie ist Ihr Vater der Mittelpunkt der Welt, wie? Glauben Sie mir, es gibt noch andere Männer. Wer war eigentlich der Blondling von vorhin?«
»Das geht Sie …«
»… einen feuchten Kehricht an, ich weiß. Ida hat mir alles erzählt. Herzallerliebst.«
Grit kam auf ihrer Wanderschaft durchs Zimmer wieder bedrohlich nahe ans Sofa. »Sie kotzen mich an«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
»Dann sind wir ja quitt. Wären Sie vorsichtig gefahren, hätte Ida vermutlich ein angenehmeres letztes Jahr gehabt. Also, hier ist kein Versteck. Verflucht, ich bin auch viel zu nervös, um lange zu suchen.«
Beide Frauen blieben unschlüssig stehen. Geht, flehte Katinka. Nachdem die Hitzewelle in ihrem Innern verebbt war, begann sie zu frieren. Ihr Pullover war durchgeschwitzt, die regennasse Jeans klebte wie eine kalte Folie an ihrem Körper.
»Ida ist ja alles zuzutrauen«, sagte Sieglinde Unruh nachdenklich. »Vielleicht spürte sie den Mörder kommen – und hat ihre Notizen vernichtet?«
Es blieb still.
»Oder Sie haben die Tagebücher auf dem Gewissen? Oder Ihr werter Erzeuger?«
»Ich habe mich um Tante Idas Angelegenheiten nicht gekümmert.«
»Aber Sie haben sich oft getroffen in letzter Zeit, wie? Hochzeitsvorbereitungen für Philipp und Kathrin.«
»Tante Ida kann ihre Schriften höchstens selber verbrannt haben«, sagte Grit zögernd. »Vielleicht hinten am Komposthaufen. Dort verschürt Tosia die Gartenabfälle.«
»Kam Tosia noch regelmäßig?«
»Zum letzten Mal kurz nach dem 3. Oktober. Sie hat den Garten klargemacht und ist danach nach Polen gefahren. Wann sie wiederkommt, weiß ich nicht.«
»Schauen wir mal. Vielleicht finden wir kleine Fetzchen, die wir dann zusammensetzen können, wie die Paläographen in ihren Kellern.«
Ja, verzieht euch, dachte Katinka. Sie lauschte den beiden Frauen, die auf dem Weg nach unten immer noch ihre spitzen Geschosse aufeinander abfeuerten. Abwartend stellte sie ihre Ohren weit auf Empfang. Irgendwann verklangen die Stimmen. Steif kroch Katinka aus ihrem Versteck. Sie reckte und streckte sich, um ihre Muskeln zu dehnen. Ihre Finger in den Latexhandschuhen waren eiskalt. Auch ihre Füße in den dünnen Socken. Ganz vorsichtig pirschte sie sich zum Fenster vor und lugte in den Garten. Sieglinde und Grit standen neben dem gemauerten Kamin und redeten mit Händen und Füßen aufeinander ein. Katinka verlor keine Zeit. Sie legte sich bäuchlings vor den Schreibtisch, rüttelte die Fächereinlage heraus, steckte den Schlüssel in das Geheimschloss. Mit leisem Klick sprang die Tür auf. Katinka achtete darauf, genau die letzten fünf Tagebücher zu erwischen. Wozu Ordnung doch gut ist, dachte sie, verstaute die Kladden in ihrem Rucksack, schloss das Fach, schob die Holzeinlage zurück. Sie robbte zum Fenster. Grit und Sieglinde waren verschwunden. Katinka schlich in den Flur. Sie legte sich auf den Boden und presste ein Ohr auf das Parkett. Nichts zu hören. Sie ging in Idas Schlafzimmer hinüber. Nichts sah verändert aus. Vom Fenster aus konnte sie in den Vorgarten sehen. Dort stieg Grit auf ein Fahrrad. Sie hatte keine Regenkleidung dabei und sah missmutig drein, während Sieglinde Unruh einen Austin Mini bestieg und davonbrauste.
Katinka wartete eine Weile ab, stieg dann ins Parterre. Sie revidierte ihre ursprüngliche Absicht, den goldenen Schlüssel irgendwo in Idas Garten wegzuwerfen. Da sollte etwas vertuscht werden. Ihr behagte der Gedanke gar nicht, dass noch mehr Tagebücher dort oben versteckt waren. Sieglinde Unruh hatte zweifelsohne recht. Schlösser konnte man aufbrechen, und sie schien auch nicht zu zögern, genau das zu tun, sobald sie erstmal das Versteck gefunden hatte. Ob eine beste Freundin sich so benimmt, dachte Katinka skeptisch. Aber wahrscheinlich meint sie, Idas Erinnerungen vor der Familie retten zu
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