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Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Titel: Frau an Bord (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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ihn und verwirrte ihn eben deshalb über die Maßen. In dieser Sekunde schien der Wind aufzufrischen. Was er wohl zu erzählen hatte?
    Er fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Was für ein Unsinn, er hatte die Sprache des Windes verlernt. Obwohl … war das nicht leises Glockengeläut dicht an seinem Ohr? Eine sanfte Melodie, die er schon einmal gehört hatte. Vor langer Zeit. Irgendwo. Es widerstrebte ihm, den Zauber der Erinnerung zu zerstören. Aber sie gehörte nicht hierher und er schüttelte heftig den Kopf, um wieder zu Verstand zu kommen. Erinnerungen? Diesen Luxus konnte er sich nicht leisten.
    Unauffällig versuchte er sich zurück durchs Küchenschott zu schieben. Und noch während er betete , sich unentdeckt aus dem Staub machen zu können, war ihm klar, dass er mit einem höflichen Rückzug schon viel zu lange gezögert hatte.
    Led iglich einen Wimpernschlag später drehte sich die Frau um. Blind durch die Tränen in ihren Augen bemerkte sie nicht, dass hinter ihr jemand auf das Hauptdeck getreten war. Sie prallte gegen ihn und stolperte mit einem entsetzten Aufschrei zurück, direkt auf die Reling zu, die Augen vor Schreck geweitet. Geistesgegenwärtig ließ der Mann in der blau-weiß gestreiften Jacke die Fuulbrass fallen, seine Hand schoss vor und krallte sich in ihre Bluse. Dann zog er sie an sich.
    Das alles war dermaßen schnell vor sich gegangen, dass sie gar nicht begriff, wie ihr geschah oder in welcher Gefahr sie für einen Moment geschwebt hatte. Erst jetzt, in seinem Arm, fing ihr Herz panisch zu rasen an. Was war denn das? Wer war das und wo kam er mit einem Mal her? Und wieso stand sie so dicht bei ihm?
    Sämtliche Antworten verloren ihre Bedeutung, als ihre Knie nachgaben und sie den Kopf sinken ließ, das Gesicht in seiner Jacke vergraben. Der Geruch gestärkter Wäsche hüllte sie ein, der Duft frisch gebackener Brötchen und unwiderstehlich männlicher Kraft. Das musste der gutmütige Kerl sein, der auf dem Assi-Gang wohnte, fielen ihr Simones Worte ein, aber ebenso die von Botho, der behauptet hatte, der Springerkoch hätte das Weite gesucht, als er hörte, wer Chefkoch auf der „Fritz Stoltz“ war.
    Was auch immer er für ein Mensch war, eins wusste sie ganz sicher: „Sie haben mir das Leben gerettet.“
    Er dagegen hätte sich am liebsten vor Scham in Rauch aufgelöst. Sein Hautton hatte inzwischen die Farbe eines Feuerlöschers angenommen. Es bereitete ihm sichtlich Unbehagen, Zeuge ihres Kummers geworden zu sein und sich als Krönung des Ganzen dabei erwischen zu lassen. Er hatte ihr Selbstgespräch belauscht und sich in ihre Privatsphäre eingemischt, daran war nichts zu deuteln, und sich damit den schlimmsten Fauxpas geleistet, der einem Mann bei einer Frau unterlaufen konnte.
    Noch lange, nachdem die F unkerin wieder sicher auf beiden Beinen stand, hielt er sie vorsichtig wie kostbares Porzellan in seinen Händen. Sie machte keine Anstalten, sich von ihm zu befreien, ihn mit Vorwürfen zu überhäufen oder ihre Hand in sein Gesicht zu schlagen als Dank für seine Dreistigkeit. Er spürte, wie ihre Tränen seine Jacke durchnässten. Mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit zog er ein Taschentuch aus seiner Hose und hielt es ihr entgegen.
    Sie blickte nicht auf, als sie es ihm aus der Hand nahm und sich vergeblich mühte, sich die Augen zu trocknen.
    „ Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu erschrecken. Verzeihen Sie mir bitte“, entschuldigte er sich und seine Ohrenspitzen glühten, weil sein schlechtes Gewissen überhandnahm.
    Susanne horchte überrascht auf, als der sanfte, melodische Klang seiner Stimme an ihr Ohr drang. Es fühlte sich an wie ein tröstliches Streicheln, eine zärtliche Berührung , und wohlige Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Das muss ein Mann sein, der durch seine Sinne lebt. Ein leidenschaftlicher Mensch, dessen Passionen nicht bloß auf die primitiven Grundbedürfnisse eines Mannes begrenzt sind. Ob er ein Liebhaber von Musik und Sprachen ist und sich für Malerei interessiert? Vielleicht, aber auch nur vielleicht, ging ihre Fantasie gerade mit ihr durch, doch sie glaubte sogar einen Hauch von spiritueller Transparenz in seiner Aura zu erkennen.
    „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich leise, dabei hätte er sich fragen sollen, ob mit ihm alles in Ordnung war. Würde je wieder alles in Ordnung mit seinem Geist sein? Auch sein Körper war da entschieden anderer Ansicht.
    D ie Funkerin kam nicht zum Antworten, denn als sie

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