Frau an Bord (Das Kleeblatt)
seiner männlichen Bedürfnisse, irgendetwas in dieser Richtung, mehr ganz sicher nicht.
Sie spürte, wie sich seine Finger um ihre Oberarme legten und er sie stürmisch an sich zog. Seine Lippen pressten sich Besitz ergre ifend auf ihren Mund, ehe sie den leisesten Pieps von sich geben konnte. Sie erstarrte angesichts der Härte und Kälte seiner Lippen. Derart unpersönlich hatte er sie noch nie geküsst. Beleidigend distanziert. Sie hätte vermutlich genauso gut ein Kleiderständer sein können.
S o plötzlich, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie auch wieder los. In seinen Augen blitzte eisiger Zorn. „Was ist los mit dir, Susanne?“, erklang seine scharfe Stimme, in der inzwischen unüberhörbar Verdruss mitschwang. „Erwartest du von mir, dass ich dich für deine Liebesdienste bezahle? Oder was ist es, wofür ich dir etwas schulde? Nach unserem heutigen Ausflug hatte ich mir vorgenommen, mich nicht mehr mit dir zu streiten. Du machst es mir nicht gerade leicht. Ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe, dass du böse auf mich bist.“
„ Was weißt du überhaupt? Nichts natürlich! Und du kannst auch nichts falsch machen!“, blökte sie ihn an. „Weil du nämlich vollkommen bist, mustergültig, einfach perfekt. Verschwinde endlich und lass deinen tollen Freund nicht länger warten! Mit ihm ist es wahrscheinlich einfacher zu reden.“
„ Soll das heißen, du wolltest lediglich mit mir reden? Und warum dann dieser Umweg?“ Er deutete mit dem Kinn auf das zerwühlte Bettzeug.
„ Vergiss es!“
„Ich bemühe mich wirklich, trotzdem verstehe ich dich mitunter einfach nicht“, fügte er mit distanzierter Höflichkeit hinzu und verließ kopfschüttelnd die Kammer.
3 5. Kapitel
Clausing thronte in seinem hohen Chefsessel, den Körper angespannt wie eine Bogensehne, als der Koch die Kapitänskajüte betrat. Umständlich zog er ein Taschentuch aus der Hose und tupfte sich mit einer dramatischen Geste imaginären Schweiß von der Stirn. Seine Mundwinkel schoben sich leicht nach oben. Dann klopfte er übertrieben lässig mit dem Zeigefinger auf das Glas seiner goldenen Taschenuhr.
Der Platzhirsc h, der auf seine Dominanz pocht, dachte Ossi und ignorierte Clausings anmaßende Geste, griff sich stattdessen einen Stuhl, schwenkte ihn herum und ließ sich auf der anderen Seite des Schreibtischs rittlings nieder.
„Ist schon gut, Matt’ n“, grummelte er abwesend. Suses Vorwürfe geisterten ihm durch den Kopf. Er war in der Tat versucht gewesen, den Kapitän erneut zu versetzen, um den Streit mit Susanne zu beenden. „Jetzt bin ich ja hier. Kannst deine Uhr ruhig wegstecken.“
Was weißt du überhaupt? hatte sie gesagt. Was, zur Hölle, sollte er wissen? Und dass sie ihm vorwarf, vollkommen, mustergültig und perfekt zu sein, entbehrte doch wohl jeglicher Grundlage. Also hatte sie ihn damit ärgern wollen. Oder eine bestimmte Reaktion seinerseits provoziert? Nur welche? Er war alles andere als mustergültig. Er befürchtete sogar, dass es viel zu viel gab, was er in seinem bisherigen Leben falsch gemacht hatte. Sollte er ihr von seinen Unzulänglichkeiten erzählen? Nicht auszudenken, wie sie reagieren würde, wenn sie die Wahrheit über ihn erfuhr.
„Das ist heute s chon das zweite Mal. Und du hast dich vorher noch nie verspätet.“
Gleichmütig zuckte Ossi mit den Brauen. „Wie gesagt: Einmal ist immer das erste Mal. Gewöhn’ dich besser dran.“
„Ich frage mich, ob es sich dabei um einen verfrühten Anfal l von Senilität handelt …“ Der Kapitän ließ den Satz in der Schwebe und lächelte seinen Freund unaufrichtig an.
„Oder was?“
Clausing übersah Ossis fragenden Blick, sondern nahm einen langen Schluck aus der Flasche, die vor ihm stand. „Es geht doch nichts über ein O'Hara's Celtic Stout“, seufzte er gekünstelt, wohingegen seine Augen vor Wut glitzerten, als er Ossi kalt anlächelte.
„ Sag du mir, was los ist. Mit dir. Du hast dich beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändert, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind.“
„ Weil ich mir menschliche Schwächen leiste? Fünf Minuten, Matt’n. Es waren genau fünf Minuten, kein Grund also, dir deswegen gleich ins Hemd zu machen.“
„ Du weißt, dass ich nicht allein diese verdammten fünf Minuten meine! Gut, lenken wir unser Augenmerk zunächst auf die weniger wichtigen Probleme. Bediene dich.“ Er nickte großmütig in Richtung einer Batterie Bierflaschen, von denen die Hälfte bereits leer war. „
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