Frau des Windes - Roman
Zimmertür, um sie putzen zu lassen, Leonora vertauscht ihre Plätze. Kurz vor dem Einschlafen, lassen Mutter und Tochter den Tag Revue passieren und übertreffen in ihren Kommentaren noch ihre Erlebnisse. Für Maurie ist alles wundervoll. Ach, wie schön es wäre, immer so zu leben! Abgesehen davon, dass Leonora nicht versteht, wie man mit Harold Carrington verheiratet sein kann, findet sie, dass Maurie ein leichtes Leben hat.
»Dein Vater war ein sehr attraktiver Mann.«
»Das bezweifle ich stark.«
»Ein Mann mit Charakter.«
»Ja, ich weiß, darunter leide ich ja.«
»Und von überragender Intelligenz.«
»Da stimme ich dir zu.«
»Alles, was wir sind, verdanken wir deinem Vater.«
»Ich verdanke ihm nichts«, brummt Leonora.
Seit Maurie mit achtzehn Jahren Irland verlassen hat, ist ihr Leben ein einziger schwindelerregender Reigen der Vergnügungen. Krocketpartien (oh, wie Leonora die hasst!), Jagdausflüge im roten Kasack, mit roten Haaren und roten Hetzhunden, die rote Füchse verfolgen, Bridgerunden, Massagen bei Madame Pomeroy, Schönheitskuren. Dass Maurie an die neuste Mode glaubt, ohne je modisch gekleidet zu sein, ist Teil ihres Charmes. Leonora findet, Mutter und Tochter kommen bei allem zu früh oder zu spät.
»Die Modenschauen der französischen Haute Couture sind die Startlinie der internationalen Mode.«
»Wie beim Pferderennen?«, fragt Leonora, begeistert von den verrückten Kreationen, die bei Schiaparelli an der Place Vendôme zu sehen sind.
»Lass uns zu Lanvin gehen und hinterher zu Poiret, auch wenn wir am Ende doch wieder bei Le Printemps landen.«
Maurie ist enttäuscht, dass sie keine Schlüpfer aus kaffeebraunem Satin findet. Außerdem braucht sie unbedingt Lederknöpfe für ein Tweedjackett, und was man ihr anbietet, entspricht nicht ihrem Geschmack.
»Wären wir in London«, beschwert sie sich, »würde ich in der Regent Street das Gleiche zum halben Preis finden …«
»Man kommt auch nicht nach Paris, um Knöpfe zu kaufen.«
»Wozu denn dann?«
»Um einen van Gogh zu kaufen.«
Maurie entscheidet sich für eine Matrosenmütze, die ihr miserabel steht. Leonora amüsiert sich, dass ein Nachtlokal in der Rue Boissy d’Anglas ›Der Ochse auf dem Dach‹ heißt, und fragt den Oberkellner, warum.
»Zu Ehren von Jean Cocteau, der manchmal hier hereinschaut«, antwortet dieser. »Ich glaube, heute Abend kommt er vorbei.«
Maurie aber will kein Nachtlokal aufsuchen, solange sie ihre Einkäufe nicht erledigt hat.
»Lass uns lieber bei Rumpelmayer einen Tee trinken.«
Während Maurie Mittagsschlaf hält, geht Leonora ohne ihr Portemonnaie ins Café de Flore. In Frankreich kann man in den Lokalen problemlos etwas trinken und erst ein, zwei Stunden später bezahlen, und bis dahin wird ihre Mutter wohl wach sein. Sie bestellt sich einen Kakao.
»Kakao haben wir nicht«, antwortet der Kellner. »Wenn Sie wollen, gibt es Café au lait, Kräutertee, schwarzen Tee, Schokolade, Wein, Bier, aber keinen Kakao.«
»Un thé alors.«
Am Nebentisch sitzt ein junger Mann, der unaufhörlich zu ihr herüberschaut.
»Ich nehme an, Sie sind Engländerin«, sagt er, »weil Sie Tee bestellen. Ich war mal in London, die Themse ist wunderschön. Geblieben bin ich in Southampton, da war es so grün.«
»Ja, da soll es grün sein. In Irland lodert das Grün wie Feuer, als schlummere ein Brandherd unter der Erde.«
Eine Stunde vergeht, und als der junge Paul Aspel sie zum Abendessen einladen will, erwidert Leonora:
»Ich muss zu meiner Mutter, ich komme gleich wieder.«
»Du solltest nicht mit Fremden reden«, warnt Maurie sie im Hotel. »Es gehört sich nicht für ein junges Mädchen, allein im Café zu sitzen.«
»Warum denn nicht?«
»Du fällst zu sehr auf, man könnte glauben, du suchst Kundschaft.«
»Das verstehe ich nicht, Mama. Davon haben die Nonnen mir nie etwas gesagt.«
Maurie spinnt ein Netz aus Einschränkungen und Verzicht um ihre Tochter, die sie aus glühenden Augen anschaut. Will die Mutter sie etwa unter all diesen Vorschriften ersticken? Gegen keine einzige darf sie verstoßen, denn die Carringtons haben sie dazu erzogen, ihrem Namen, ihrer Herkunft und dem Ruhm der Familie Ehre zu machen.
»Mama, sich immer nach den anderen zu richten ist eine Krankheit.«
»Du bist Teil einer Gesellschaft, deine Abstammung …«
»Was du da sagst, ist Unsinn, das sind doch alles Tabus. Für mich gibt es nur einen Gesichtspuder namens Tabu.«
»Ach, Leonora, meine Ratschläge
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