Frau des Windes - Roman
sollen dir doch nur helfen, im Einklang mit deinen familiären Ursprüngen und der Größe deines Landes zu leben. Du bist dein Land. Du bist Großbritannien.«
»Ich bin Leonora, nicht das britische Empire«, spottet die Tochter.
»Tu nicht so schlau, du bist auch deine Vorfahren. In deinen Neuronen steckt auch Oscar Wilde, vielleicht bist du seinetwegen, wie du bist, rebellisch, ungreifbar, und genau wie er denkst du nicht über die Konsequenzen deines Tuns nach.«
Leonora hält ihr wie schon einmal entgegen, dass diese ganze Heraldik sie nicht beeindrucke. Statt sich etwas auf ihre Vergangenheit einzubilden, spielt sie sie lieber mit frechem Koboldgrinsen herunter. ›Meine Mutter ist ein Snob‹, denkt sie. Viele Familien würden alles für eine ruhmreiche Vergangenheit geben, sagt sie, dieser Wunsch gehöre so sehr zur menschlichen Natur, dass Hoteliers, Auto-, Tabak- und Parfümhändler ihr Geschäft, ihren Cognac oder ihren Wein mit einem Titel oder einem Familienwappen versähen. »Von etwas zu profitieren, was man nicht selbst erreicht hat, finde ich nicht aristokratisch, sondern typisch für Krämerseelen.« Auch über Geschmack diskutieren sie, weil Maurie ständig alles in geschmackvoll und geschmacklos unterteilt.
»Das ist doch absolut relativ«, meint Leonora. »Etwas kann dir gefallen, mich aber abstoßen und umgekehrt.«
»Nein, Leonora, dein guter Geschmack wurde dir anerzogen, wenn du das vergisst, verleugnest du deine Herkunft.«
Wenn der Maître d’hôtel die Weinflasche bringt, flüstert er seinem Gast stets Herkunft und Jahrgang ins Ohr. Sagt er »Grand vin de Chateau Latour 1905«, weiß Leonora genau, dass sie etwas Außergewöhnliches kosten wird, etwas Altes und Weises, das zugleich so frisch und heiter schmeckt, als wäre es erst am Vortag geschaffen worden. Sie trinkt es, wie sie eine Hostie verzehrt.
»Dass die Franzosen ein besonderer Menschenschlag sind, liegt am Wein«, sagt sie zu Maurie. »Dem Wein verdanken sie ihren Esprit.«
»Ich wäre gern reich, originell und frei wie die Veuve Cliquot oder der Champagnerhersteller Pol Roger.«
»Du hast dein eigenes Geschlecht in Lancashire.«
»Daran werde ich mich aber nicht klammern, und ich will auch nicht zur Leiche erstarren wie Tante Edgeworth. Ich werde mir nicht von Skeletten die Luft abschneiden lassen; ich bin meine eigene Mutter und mein eigener Vater. Ich bin eine einmalige Erscheinung.«
Maurie wendet den Kopf ab, damit Leonora nicht sieht, wie ihr die Tränen in die Augen schießen. Leonora quält sie, ihr Kind ist ein seltsames Tier, das den Pferch verlassen hat, in dem seine Brüder grasen.
Im Februar treffen sie inmitten eines Schneesturms im Hôtel du Palais in Biarritz ein. Maurie empfindet es als persönliche Beleidigung, dass kurz vor Frühlingsbeginn Schnee fällt, für sie ist die Welt aus den Fugen geraten.
»Kein Wunder, dass ganz Biarritz ausgestorben ist. Nächstes Jahr fahren wir nach Torquay. Da ist es billiger und das Klima besser.«
Skifahren in St. Moritz, Sommerferien im Eden Roc, das sind Fixpunkte in ihrem Terminkalender, im Bentley oder Rolls- Royce zu sitzen gehört zu ihrem Alltag.
In Monte Carlo verkriecht Maurie sich im Kasino.
»Ist das dein spiritueller Rückzugsort?«, fragt Leonora.
Maurie ist eine Feinschmeckerin, will stets pünktlich zu Abend essen und sich am nächsten Tag an das Menü erinnern, während Leonora es immer vergisst.
»Mama, du bist wie die Grinsekatze von Carro, die sich die Schnurrhaare leckt.«
Leonora erinnert sich an jede Geste ihrer Tischnachbarn. Mutter und Tochter kaufen Fahrscheine nach Taormina, und von dort aus reisen sie durch Sizilien. Die Italiener schauen Leonora nach und machen Bemerkungen über ihren culino . In Taormina schäkert sie mit einem Oberkellner namens Dante. Er verkauft ihnen einen spottbilligen Fra Angelico, der sich als Fälschung erweist.
Zurück in Paris, reitet Leonora morgens aus, schaut sich mittags ein Polospiel an und geht abends tanzen. Jung, hübsch und reich zu sein ist wahrhaftig ein guter Start ins Leben. Den Erfolg ihrer Tochter genießt auch Maurie, zumindest tut es ihr gut zu erleben, wie die Gäste verstummen und sie betrachten, wenn sie den Raum betritt. In zahlreichen Lokalen werden sie mit offenen Armen empfangen, in einem nehmen sie den Aperitif, im anderen gehen sie essen, und die Leute sagen zu Maurie, ihre Tochter sei wundervoll, wie die Soles Meunières, die Mutter und Tochter sich langsam auf der Zunge
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