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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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auf!«
    »Dein Kleid ist wunderschön und passt genau dazu. Du musst den Familienschmuck auf jeden Fall vorführen.«
    »Der ist zu schwer, ich will ihn nicht. Kauf mir doch einen Gorillamantel oder ein Eselsfell. Das wäre mir viel lieber.«
    Maurie wird wütend, Leonora bebt vor Zorn.
    »Du solltest dankbar sein«, schaltet sich der Vater versöhnlich ein. »Wärst du hässlich und tollpatschig, würden wir dich gar nicht bei Hofe einführen.«
    »Ich wünschte, ich wäre es.«
    »Du weißt nicht, was du da sagst.«
    »Stülp mir eine Tüte über den Kopf, dann gehe ich nach Buckingham. Was ich will, ist malen.«
    »Leonora, du wirst dort als Frau wahrgenommen werden, nicht als die Malerin, die du gerne wärst. Die ist nicht wichtig.«
    »Was ich werden will, ist also nicht wichtig, Papa?«
    Herausfordernd blickt Leonora ihren Vater an.
    »Wenn ich eine Hyäne wäre, müsste ich dann auch zum Ball?«
    »Auch dann würde ich dich bei Hofe einführen«, beendet Harold Carrington das Gespräch.
    ›Könnte ich mich doch in eine Hyäne verwandeln, knurren, sabbern, männlich sein und vor dem Thron lachen wie sie.‹
    Bei Hofe eingeführt zu werden ist eine Ehre, ein Beweis für edle Abstammung und Zugehörigkeit zur Elite. Die jungen Mädchen stützen sich auf ihren Stammbaum, nur wenige sind auserwählt. Auch unter den Angehörigen wird aussortiert, es gelten strenge Zutrittsregeln. Eine Einladung nach Buckingham ist ein Meilenstein im Lebenslauf.
    Vor einem Podest warten die Debütantinnen auf den König, die Königin und die Prinzen. Ihr Platz ist unten. Von oben schaut der Hof mit wohlwollender Strenge auf sie herab. Als der König und die Königin den Saal betreten, verneigen sich die jungen Mädchen vor ihnen in einer tagelang eingeübten Verbeugung; hier kann kein Pummelchen mit dem Fächer in der Hand wie ein Blumenkohl übers Parkett rollen.
    Jedes Mal, wenn ein Name genannt wird, besteigt eines der Mädchen das Podest. In weißen Satin gekleidet wie ihre Mutter, nur schlanker als sie, erhebt sich Leonora, klappt ihren Fächer zu und schreitet zum Podest, verneigt sich tief vor dem König, nicht ganz so tief vor der Königin und ein drittes Mal, flüchtig nur, vor dem Hof. Dann kehrt sie zurück zu ihrem Platz, mit erhobenem Haupt, auf dem das schwere Diadem thront. Im Nacken spürt sie einen eindringlichen Blick aus der Reihe hinter ihr und wendet den Kopf zu ihrem Vater um.
    »Dafür all die Vorbereitungen, Mama?«
    Kellner mit vorstehendem Kinn wie spanische Granden bedienen sie unter einem weißen Zelt.
    »Sag mal! Ist dir eigentlich klar, dass du soeben dem Königspaar vorgestellt wurdest?«
    »Die Schnittchen schmecken so lala.«
    »Du benimmst dich unmöglich. Das Diadem wollte ich dir eigentlich schenken, aber das schlag dir aus dem Kopf. Was du gerade erlebt hast, ist eine denkwürdige Zeremonie, etwas Einmaliges in deinem und unserem Leben. Dies sind deine Monarchen, sie beschützen dich; dies ist dein Land, deine Geschichte.«
    Ihre Eltern schenken ihr einen Debütantinnenball im Ritz, und in den nächsten Monaten besucht Leonora ihrerseits die Tanzveranstaltungen des Pariser Adels, des Grafen Étienne de Beaumont, der Comtesse de Greffulhe oder des Vicomte Charles de Noailles, der in seinem auch als Theater genutzten Ballsaal Goyas und Tizians hängen hat. Dort klingeln die Kronleuchter mit ihren goldenen, wie lebendiges Laub zitternden Blättern, und immer wenn ein neuer Gast den Saal betritt, wird er oben an der Treppe vom Zeremonienmeister angekündigt.
    »Lord.«
    »Duchess.«
    »Lady.«
    »Marquis.«
    »Count.«
    »Earl.«
    »Prince.«
    »Baroness.«
    Alle Augen richten sich dann auf den Neuankömmling. Nichts wiegt schwerer als Blicke.
    »Ich wäre gern ein Hyäne«, sagt Leonora nach dem Ball, als sie sich angezogen aufs Bett wirft.
    »Schon wieder? Hast du dich denn nicht amüsiert?«
    »Ha! Dass ich mich amüsiere, willst du auch noch? Die Gäste denken doch nur ans Protokoll, und die Frauen daran, wer von ihnen das schönste Kleid trägt.«
    Mit feuchten Augen schaut ihre Mutter sie an.
    »Ich war so glücklich, du warst die Schönste, das haben meine Freunde mir alle bestätigt.«
    »Deine Freunde?«
    »Na ja, meine Bekannten. Ich verstehe nicht, warum du mir immer widersprechen und mich so abkanzeln musst.«
    Nach ihrem Debüt geht Leonora zu den Bällen der Saison, die alle nach dem gleichen strengen Protokoll ablaufen. Hier verstößt niemand gegen die Etikette. Die jungen Mädchen

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