Frau des Windes - Roman
zergehen lassen. Inzwischen ist es Leonora, die den Wein aussucht, die alles weiß über den Pouilly Fuissé und sich sogar erlaubt, Flaschen zurückzuweisen. Staunend schaut ihre Mutter ihr zu. Sie haben alle Zeit der Welt, das ganze Leben liegt vor ihnen.
»Welche Köstlichkeiten werden unsere weißen Zähne heute noch zermalmen?«, fragt Leonora. »Wir sind wie zwei Hexen.«
Weit weg ist der morgendliche Porridge! Leonora vermag sogar den Jahrgang des Weines zu erkennen, den sie sich in die Gläser gießen.
»Wir sind glücklich wie Maiköniginnen«, gesteht Maurie.
Leonora streckt die Arme in die Luft, wirft ihr prachtvolles langes Haar zurück, lacht aus vollem Halse.
»Leonora, alle sehen dich.«
»Nein, Mama, dich schauen sie an.«
In den Folies Bergère tanzt Mistinguette für sie, und Maurie sagt:
»Diese nackten Frauen langweilen mich, so etwas haben die Griechen schon vor Jahren gemacht.«
Sie ärgert sich noch immer über die unauffindbaren Schlüpfer aus kaffeebraunem Satin. Im Bal Tabarin tanzt Leonora mit einem Armenier, der sie am nächsten Morgen im Hotel anruft. Maurie kauft Fahrkarten, um aus Paris zu verschwinden, bevor der Armenier kommt und ihnen irgendeine Ikone andreht.
»Achtbarkeit ist das Langweiligste auf der Welt. Nicht nach Venedig, Mama, da fahren alle Engländer hin.«
»Nach Venedig, habe ich gesagt.«
Für Leonora ist Venedig Thomas Manns von Aschenbach, eine Halluzination im Nebel, eine dahinsiechende Meerwasserlagune, ähnlich dem See, durch den sie als Mädchen mit ihrer Stute galoppiert ist. Alles modert vor sich hin, im dickflüssigen Blut des sterbenden Venedig sammelt sich der Müll, aber Mauries Lebenslust wogt höher als die schwarze Welle der Sterblichkeit. »Lord Byron war hier«, betont sie. Am Lido erkennt Leonora den sonnenbeschienenen Strand nicht wieder, an dem von Aschenbach zum ersten Mal Tadzios göttliches Antlitz sah, das ihn überschwemmte wie das schmutzige Wasser, in dem Venedig versinkt. Maurie ist verrückt nach den Gondeln, Leonora nicht, sie findet die Gondolieri gekünstelt und theatralisch. Sie wehrt sich dagegen, in die venezianische Vergangenheit mit ihren stehenden Gewässern einzutauchen, die einem, fiele man hinein, den sicheren Gifttod bescheren würden.
»Fürst Umberto Corti will uns in seine Villa einladen, alle sagen, sie sei eine Pracht.«
»Ich werde keinen einzigen Marmorboden mehr besichtigen …«
In Rom laufen sie über den Petersplatz, im Petersdom aber weigert Leonora sich, den Fuß der Pietà von Michelangelo zu küssen, der unter den Lippen der Tausenden zu zerfallen droht.
»Lieber küsse ich die Wunden des heiligen Franz von Assisi, der hat wenigstens Tiere geliebt.«
Ein alter Mann in einer Kutsche, die von zwei geschmückten Pferden gezogen wird, bietet ihnen an, sie zu den Katakomben zu fahren.
»Mama, würdest du lieber eingeäschert werden?«, fragt Leonora ihre Mutter nach dem Besuch.
»Ich denke nicht gern an den Tod«, antwortet Maurie.
»Da hast du recht, ich werde nämlich nicht bei dir sein, wenn du stirbst.«
Die Debütantin
Zurück in Hazelwood, erinnert Mauries Reisebericht Leonora an die trägen venezianischen Kanäle.
Sie versucht, ihre Mutter zu überreden, sie in London Malerei studieren zu lassen.
»Was für ein törichter, müßiger Gedanke. Du musst zu Hause auf deine Zukunft warten.«
»Warten?«
»Malen ist ja an sich nichts Schlechtes«, sagt Maurie, »ich selbst mache das ja auch in gewisser Weise. Deine Tante Edgeworth hat Romane geschrieben und war mit Sir Walter Scott befreundet; freilich hätte sie sich niemals als ›Künstlerin‹ bezeichnet, alle hätten die Nase gerümpft. Künstler haben keine Moral und leben in wilder Ehe in irgendwelchen Dachmansarden. Nach all dem Luxus, den du gewohnt bist, würdest du es niemals in einem Dienstbotenzimmer aushalten. Du, die unter Kronleuchtern tanzt, willst den Flur fegen? Im Übrigen, was hindert dich daran, hier zu malen? Im Garten gibt es viele Ecken und Winkel, die schöne Motive wären.«
»Ich will Akte malen, hier gibt es keine Modelle.«
»Warum nicht?«, entgegnet Maurie. »Jeder, der sich auszieht, ist ein Modell.«
Leonora kaut an ihren Fingernägeln. Ihr einziger Ausweg bleibt das Reiten.
»Du bist nun so weit, dass wir dich in Buckingham am Hofe König Georges V. einführen können«, verkündet ihr Vater.
Mauries diamantenbesetztes Diadem landet auf Leonoras Kopf.
»Diese lächerliche Krone setze ich nicht
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